Volksstimme-Gespräch mit Professor Raimund Firsching über Organspende Es ist schwer zu begreifen, dass ein Mensch tot ist, obwohl er sich nicht tot anfühlt
Jeder Erwachsene in Deutschland wird künftig regelmäßig von seiner Krankenkasse aufgefordert, seinen Willen für oder gegen die Spende seiner Organe nach dem Tod zu bekunden. Volksstimme-Autorin Kathrain Graubaum sprach darüber mit Prof. Dr. Raimund Firsching, Direktor der Universitätsklinik für Neurochirurgie in Magdeburg.
Volksstimme: "Organspende rettet Leben" - trotz zahlreicher solcher Appelle hält sich die Mehrheit der Menschen zurück. Hängt das mit der Urangst vor dem Tod zusammen?
Raimund Firsching: Die Angst, dass man für tot erklärt wird, obwohl man noch lebt; die Angst, dass man lebendig begraben wird, gehören zu den ältesten Ängsten der Menschheit. Darum darf die schwerwiegende Sorge, es könne der Arzt eine falsche Diagnose stellen, nicht bagatellisiert werden. Jeder weiß ja: Irren ist menschlich.
Volksstimme: Wie können Sie bei der Feststellung des Hirntodes einen Irrtum definitiv ausschließen?
Firsching: Dies ist Aufgabe von zwei erfahrenen, unabhängig voneinander untersuchenden Experten der Intensivmedizin. Über Stunden werden mehrere Untersuchungen durchgeführt, die letztendlich eine Fehldiagnose ausschließen. Der Hirntod bedeutet den Tod des Individuums. Es gibt keine medizinischen Mittel und Möglichkeiten, diesen Zustand wieder zu verbessern. Der Patient erleidet in kurzer Zeit den Herzstillstand, würde man das Beatmungsgerät ausschalten.
Volksstimme: Welches sind die untrüglichen Zeichen des Hirntodes?
Firsching: Der Patient ist bewusstlos und hat keine Pupillenreaktionen. Schluck- und Würgereflex sowie Blinkreflex fehlen. Mit Hilfe eines speziellen Atemtestes kann man feststellen, ob der Patient selber keine Atembewegungen mehr macht. Durch einen Bluttest wird ausgeschlossen, dass diese Symptome eventuell durch eine Vergiftung oder eine Entgleisung des Hormonhaushaltes hervorgerufen wurden. All diese Kriterien sind bislang weltweit nicht erschüttert worden.
Volksstimme: Wie lange kann man nach Feststellung des Hirntodes die Körperfunktionen aufrecht erhalten? Anders gefragt: Wie lange haben Angehörige Zeit, sich hinsichtlich einer Organspende zu entscheiden, falls keine schriftliche Willensbekundung des Toten vorliegt?
Firsching: Das ist abhängig von der Verfassung des Körpers beziehungsweise von Störungen am Körper, die der Patient neben seiner Hinschädigung hat. Bei jungen Menschen ist es schon gelungen, den Kreislauf über mehrere Wochen stabil zu halten.
Volksstimme: Die Angehörigen sehen dann diesen Menschen atmen, sein Körper ist warm, er wirkt so lebendig ...
Firsching: Mehr noch. Durch die intensivmedizinische Behandlung können die Organe weiter gut arbeiten, der Körper kann Urin und Stuhl ausscheiden, Haare und Fingernägel wachsen. Das Rückenmark ist durchblutet, da sind Bewegungen von Armen und Beinen möglich. Der Pulsschlag ist fühlbar.
Dies alles würde ohne die medizin-technischen Hilfsmittel nicht mehr funktionieren. Es ist sehr schwer für die Angehörigen, dies zu begreifen. Dafür habe ich großes Verständnis. Es bedarf einer feinfühligen Gesprächsführung unsererseits, um unmissverständlich zu vermitteln: Dieser Mensch ist tot, obwohl er sich nicht tot anfühlt. Und: Seine Organe nützen ihm jetzt nichts mehr.
Volksstimme: Kann er in dieser Zeit noch etwas spüren?
Firsching: Das kann er schon vorher nicht, wenn er bewusstlos ist. Mit dem Eintreten des Hirntodes beginnt das Gehirn, sich aufzulösen. Nach etwa 14 Tagen ist es nur noch eine milchartige Flüssigkeit. Da kann kein Schmerzempfinden mehr ankommen.
Volksstimme: Eine Sorge vieler Menschen ist es auch, ihnen würde als potenzieller Organspender nicht alle erdenkliche Hilfe zuteil.
Firsching: Ich kann diese Sorge verstehen, möchte aber in diesem Zusammenhang betonen: Bis zum Eintreten des Hirntodes haben wir noch Hoffnung auf Besserung und es wird die maximal mögliche intensivmedizinisch Behandlung erfolgen. Wir schätzen übrigens: Auf 15000 Tote kommen allenfalls 150 Hirntote, die als Organspender infrage kämen. Also ist die Wahrscheinlichkeit, in die Rolle eines Organspenders zu kommen, niedriger, als in die eines Organempfängers. Jeder kann sich überlegen, ob er selber in entsprechender Situation ein Spenderorgan annehmen würde. Dadurch bekommt man besser den emotionalen Zugang zum Thema.
Volksstimme: Für welche Art Durchführung der Organspende-Regelung würden Sie plädieren?
Firsching: Ich hielte es für praktisch, wenn es die Möglichkeit gäbe, die Willensbekundung im Führerschein anzukreuzen: Ich würde ein für mich lebensnotwendiges Spenderorgan entgegennehmen - ja oder nein; ich stimme der Entnahme meiner Organe zwecks Organspende nach Feststellung meines Todes zu - ja oder nein; ich möchte die Frage nicht beantworten.