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Entführungsfall Kampusch: "Habe meinem Peiniger vergeben"

Zehn Jahre nach der Flucht vor Wolfgang Priklopil tastet sich Entführungsopfer Natascha Kampusch weiter an ein normales Leben heran.

11.08.2016, 23:01

Im August jährt sich Ihre Flucht sowie der Sterbetag Ihres Entführers. Was löst dieser Tag bei Ihnen aus?

Natascha Kampusch: Ich denke selten daran, weil ich einfach das Gefühl habe, dass das zu nichts führt. Die Person ist tot. Die äußeren Umstände, die damals herrschten, sind nicht mehr.

Sie sind noch immer eine Person großer öffentlicher Neugier. Wie würden Sie selbst gern wahrgenommen werden?

Das weiß ich nicht, weil ich mich selbst noch gar nicht ganz gefunden habe.

Sie schreiben in Ihrem neuen Buch, dass Ihnen viele Menschen in der Öffentlichkeit mit viel Hass begegnen. Wieso, glauben Sie, ist das so?

Vielleicht hat es etwas mit meiner Herkunft zu tun. Dass Menschen denken, mir steht es nicht zu, dass ich mich selbstbewusst nach außen trage. Weil sie selbst wahrscheinlich Probleme haben.

Es scheint, als würden manche Menschen lieber Fehler bei Ihnen suchen, als darüber nachzudenken, was Ihnen angetan wurde.

Viele denken, wenn jemand Opfer eines Verbrechens wurde, war er in einem Sumpf und dieser Sumpf muss auch auf das Opfer abgefärbt haben.

Haben Sie nie darüber nachgedacht, aus Wien wegzuziehen?

Nein, weil ich es hier so spannend finde. Wien ist so eine historische Stadt im Herzen Europas. Ich mag außerdem das Leitungswasser so gerne.

Sie beschreiben in Ihrem Buch, wie Sie es schmerzt, wenn Sie junge Freundinnen gemeinsam beim Eisessen sehen.

Ich denke mir dann immer mit Wehmut: „Ach, diese Jugend.“ Dabei bin ich ja selbst noch jung. Jetzt ist es nicht mehr so schlimm, aber früher habe ich mir immer gedacht: „Die haben noch ihr ganzes Leben vor sich. Denen ist noch nichts passiert.“

Sie feiern in zwei Jahren Ihren 30. Geburtstag: Welche Ziele haben Sie noch?

Ich habe schon Pläne, aber ich muss daran arbeiten, dass ich sie auch verwirkliche. Ich nenne sie eher Träume. Mich reizt meist mehr das Potenzial zu den Dingen, als die Dinge tatsächlich. Ich lerne erst langsam, die Dinge auch fest werden zu lassen.

Was wäre Ihr Traumjob?

Künstlerin beziehungsweise Autorin.

Konnten Sie dem Täter eigentlich vergeben?

Ja, schon. Weil die Person ja immerhin tot ist. Es gibt auch keinen Zweifel daran, dass er ein krimineller und kein guter Mensch war. Also vielleicht hatte er gute Seiten, aber er war kein guter Mensch in dem Sinne. So ist es für mich leichter, weil sich das mehr nach Gerechtigkeit anfühlt.

Können Sie der Polizei und den Behörden noch vertrauen?

Nein, in dem Sinne nicht. Man kann nur individuell schauen, ob man zu einer einzelnen Person Vertrauen hat.

Gerade ist ein neues Buch von Natascha Kampusch erschienen: Natascha Kampusch: 10 Jahre Freiheit, mit Heike Gronemeier, List Verlag, Berlin, 2016, 19,99 Euro, ISBN: 978-3-471-35129-1