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„Reichsbürgerputsch“ Kritik an vorzeitiger Medieninformation

Nach der bundesweiten Razzia gegen rechtsextreme Reichsbürger am Mittwoch sind noch viele Fragen offen.

Von Uwe Kreißig (mit dpa) Aktualisiert: 12.12.2022, 11:59
Der mutmaßlich rechtsextreme „Reichsbürger“ Heinrich XIII. Prinz Reuß bei seiner Verhaftung.Boris Roessler/dpa
Der mutmaßlich rechtsextreme „Reichsbürger“ Heinrich XIII. Prinz Reuß bei seiner Verhaftung.Boris Roessler/dpa Foto: dpa

Neben dem Lob für das Durchgreifen der Fahnder wird in deutschsprachigen Medien, aber auch aus der Politik seit Mittwochabend Kritik an der Handhabung der Razzien sowie an der Präsentation ihrer Ergebnisse angemeldet.

„Ich selbst wusste seit Mitte letzter Woche bereits davon und weiß außerdem von mehreren Medien, die schon seit zwei Wochen Kenntnis hatten. Es waren die Namen der Beschuldigten bekannt, ihre Adresse und der geplante Zeitpunkt des Zugriffs“, sagte die Linken-Politikerin Martina Renner dem Fernsehsender „n-tv“: „Die Infos waren derart breit gestreut, dass es wie eine PR-Aktion wirkt. Die kann den zuständigen Behörden und Ministerien als Arbeitsnachweis dienen“, so die Sprecherin für Antifaschistische Politik der Linken-Fraktion im Bundestag weiter.

Unter der Überschrift „Der Putsch, der nie passiert wäre“, schreibt Susanne Gaschke in der „Neuen Zürcher Zeitung“: „Schließlich ist ein ... Punkt verstörend: Im politischen Berlin war seit Tagen zu hören, es sei ,eine große Sache im Busch’. Manche Medien wussten offensichtlich von den bevorstehenden Razzien und Verhaftungen, denn viele Redaktionen veröffentlichten fast zeitgleich – wie nach einer Sperrfrist – umfangreiche Berichte zu der eigentlich doch ganz neuen Eilmeldung“.

Gaschke weiter zur „Reichsbürger“-Razzia: „Warum wäre die organisierte Medienbegleitung der Einsätze ein Problem? Weil sie entweder ein unkalkulierbares Risiko für das Gelingen der ganzen Aktion hätte bedeuten können. Oder aber weil sie anzeigt, dass die Sache doch noch nicht so brandgefährlich war. Im letzteren Fall könnte der Eindruck entstehen, es gehe hier vor allem – oder auch – um eine politische Public-Relations-Übung. Das wäre dann Wasser auf die verschwörungstheoretischen Mühlen, die es zu bekämpfen gilt.“

„Wie das Drehbuch für einen Film der Coen-Brüder“

Im Online-Portal der Politikzeitschrift „Cicero“ äußerte sich Chefredakteur Alexander Marguier unter der Hauptzeile „Wie das Drehbuch für einen Film der Coen-Brüder“ zum Putschplan der „Reichsbürger“: „Dass es allerdings 3000 Polizeibeamter bedurfte inklusive SEK, um die verhinderten Umstürzler festzusetzen – und dass am frühen Mittwochmorgen Spezialkräfte vor Malsack-Winkemanns Reihenhaus im Berliner Villenviertel Wannsee anrückten, um die Eingangstür mit einer Ramme zu durchbrechen: Ist das bei Lichte besehen nicht ein bisschen arg viel Showeffekt, zumal ausgewählte Pressevertreter, die schon Tage zuvor über den Einsatz informiert wurden, das Spektakel live vor Ort begleiten durften?“

Heinrich XIII. auf dem deutschen Königsthron?

Marguier: „Aber die ernsthafte Besorgnis, mit der in praktisch sämtlichen Medien darüber berichtet wurde, die beiden Hauptverdächtigen hätten bereits postrevolutionäre Strukturen entwickelt, denen zufolge Malsack-Winkemann für Justiz zuständig gewesen wäre (und Heinrich XIII. wahrscheinlich den Königsthron bestiegen hätte), das ist dann wirklich lächerlich.“

Der Journalist habe mit Kollegen aus anderen Medien gesprochen – „auch solcher Medien, die bei der überschäumenden Umsturzplan-Berichterstattung ganz vorne mit dabei waren. Unisono ... hieß es: Uns kommt das alles auch völlig übertrieben vor, aber wenn die Konkurrenz so dramatisch reagiert, können wir die Sache nicht auf kleiner Flamme kochen. Und überhaupt könnte ein falscher Eindruck entstehen, wenn wir nicht groß miteinsteigen.“

Der ehemalige Bundesinnenminister Otto Schily (SPD) warnte unterdessen davor, die Bedrohung durch die festgesetzte „Reichsbürger“-Gruppe überzubewerten. „Mein subjektiver Eindruck ist, dass diese eher skurrile Spinner-Truppe keine reale Bedrohung für Staat und Gesellschaft darstellt“, sagte er gestern der „Welt“.