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Nahost-Reise Alabali Radovan verurteilt Siedlergewalt gegen Palästinenser

Die Entwicklungsministerin besucht Viertel in Jerusalem, dessen arabische Bewohner von Siedlern bedrängt werden. Der Gaza-Krieg und die Siedler-Aktivitäten belasten das deutsch-israelische Verhältnis.

Von Anne-Beatrice Clasmann, dpa Aktualisiert: 26.08.2025, 14:53
Die Bundesministerin tauschte sich im Westjordanland mit einer Familie aus.
Die Bundesministerin tauschte sich im Westjordanland mit einer Familie aus. Katharina Kausche/dpa

Jerusalem/Ramallah - Bundesentwicklungsministerin Reem Alabali Radovan (SPD) hat zu Beginn ihrer dreitägigen Nahost-Reise die Aktivitäten israelischer Siedler im Westjordanland und in Ost-Jerusalem scharf verurteilt. „Es ist wichtig für uns zu sehen, was hier passiert“, sagt die Ministerin nach der Besichtigung eines zerstörten Hauses in dem Dorf Al-Dschudaira im besetzten Westjordanland. Deutschland habe leider „in den letzten Jahren die Augen verschlossen“, was den Siedlungsbau betrifft, sagt der SPD-Bundestagsabgeordnete Adis Ahmetovic, der sie auf der Reise begleitet.

Mohammed Abdelhamid Eid (51) zeigt den Besuchern aus Deutschland die Trümmer seines Hauses, das nach Angaben von UN-Mitarbeitern am 4. August von der israelischen Zivilverwaltung abgerissen wurde. Vier Jahre lang habe er versucht, eine Genehmigung zu erhalten, um auf seinem Grundstück ein Haus zu errichten – ohne Erfolg. Dann habe er schrittweise angefangen zu bauen, immer wieder bei der Verwaltung nachgefragt. Eine belastbare Antwort habe er nie erhalten. 

UN-Büro: Zerstörungen zermürben die lokale Bevölkerung

Der Mechaniker, seine Frau und die zehnjährige Tochter Tulien haben den Schock noch nicht verdaut. „Ich hatte nur eine Viertelstunde Zeit, um meine Sachen einzupacken“, sagt das Kind. Und: „Als meine Onkel kamen, um uns zu helfen, haben sie ihre Waffen auf meine Onkel gerichtet.“ 

Bediako Buahene vom UN-Nothilfebüro (OCHA) erklärt, die Zerstörung von Wohnhäusern und Gemeindeeinrichtungen in den Palästinensergebieten folge keinem nachvollziehbaren Muster. Das sei für die lokale Bevölkerung besonders zermürbend, da man nie wisse, „wer der nächste ist, den es betrifft“.

Die Stimmung ist angespannt, während die Delegation in Ramallah mit Mitgliedern des Kabinetts von Ministerpräsident Mohammed Mustafa spricht. Im Stadtzentrum läuft gerade eine Razzia israelischer Soldaten. Es kommt zu gewaltsamen Zusammenstößen mit mehreren Verletzten.

Deutschland steht nach wie vor zur Zweistaatenlösung

Alabali Radovan hat am Morgen schon ein Viertel in Ost-Jerusalem besucht, dessen arabische Bewohner sich von israelischen Siedlern drangsaliert fühlen. Palästinensische Familien erhalten in Al-Bustan, einem Quartier im Stadtviertel Silwan, laut Entwicklungsministerium kaum Genehmigungen, ihre Häuser zu renovieren oder zu erweitern. Nach Angaben von Anwohnern wurden seit Oktober 2023 hier von der Stadtverwaltung 33 Häuser abgerissen.

Die Bundesregierung betone stets, dass die Siedlergewalt völkerrechtswidrig sei, sagt die Ministerin. Deutschland stehe nach wie vor zur Zweistaatenlösung.

Fachri Abu Dijab, der ihr ein 2024 zerstörtes Haus zeigt, in dem er mit seiner Familie jahrzehntelang gelebt hat, gibt dem Gast aus Deutschland eine Botschaft mit: „Dass Israel nicht zur Rechenschaft gezogen wird, hat dazu geführt, dass mein Haus und die Häuser anderer Familien abgerissen wurden.“ Es gehe ihm nicht nur um seine Familie und um sein Viertel, sondern auch um das Schicksal der Palästinenser im Gazastreifen und im Westjordanland.

Schalte in den Gazastreifen

Auf ihrer Reise spricht die SPD-Politikerin in Ramallah mit Vertretern der palästinensischen Autonomiebehörde, die aus deutscher Sicht zwar reformbedürftig ist, aber möglicherweise eine Rolle bei der Verwaltung des Gazastreifens nach einem Ende des Krieges spielen könnte. Die palästinensische Ministerin für soziale Entwicklung, Samah Hamad, hat Gesprächspartner aus dem Gazastreifen per Videokonferenz zugeschaltet, damit die deutsche Delegation aus erster Hand erfahren kann, wie verzweifelt die Lage in dem abgeriegelten Küstenstreifen ist. 

Alabali Radovan sagt, die Bundesregierung habe modulare Unterkünfte für rund 400 Familien bestellt, die – sobald es die Lage zulässt – in den Gazastreifen gebracht werden sollen. „Wir wollen helfen, aus Trümmern wieder ein Zuhause zu machen“, erklärt sie. Dafür brauche es eine dauerhafte Waffenruhe. Die israelische Regierung müsse die Kämpfe einstellen, die Hamas ihre Waffen niederlegen und die Geiseln bedingungslos freilassen.

Aufbau und Zerstörung

Alabali Radovan war noch nie zuvor in Israel oder den Palästinensergebieten. Ihr Ministerium hat in den vergangenen Jahrzehnten im Gazastreifen und im Westjordanland viele Entwicklungsprojekte begleitet. Einige der Einrichtungen, die Deutschland im Gazastreifen einst finanziert hat, liegen jetzt in Schutt und Asche. Auch im Westjordanland ist es wegen der instabilen Lage und der eingeschränkten Mobilität schwierig, Projekte erfolgreich umzusetzen.

Eine Beschäftigungsinitiative, die die frühere Entwicklungsministerin Svenja Schulze (SPD) im April 2024 mit der palästinensischen Autonomiebehörde in Ramallah vereinbart hatte, sollte innerhalb von drei Jahren etwa 25.000 neue Arbeitsplätze im Westjordanland und in Ost-Jerusalem schaffen sowie bestehende Jobs erhalten. Bislang sind es laut Ministerium erst einige Hundert Arbeitsplätze, bis zum Jahresende sollen 3.000 Menschen Arbeit finden.

Bei aller Kritik an der israelischen Regierung betont Alabali Radovan stets die Verantwortung Deutschlands für das Existenzrecht Israels. Bevor sie nach Jordanien und Saudi-Arabien weiterfliegt, will sie mit Angehörigen israelischer Geiseln sprechen, die bei dem Terrorüberfall der islamistischen Hamas am 7. Oktober 2023 in den Gazastreifen verschleppt worden waren.

Das Programm der Ministerin ist eng getaktet. Nur in der Grabeskirche in Jerusalem gönnt sich die gläubige Christin einen kurzen privaten Moment.

Landesweite Proteste in Israel

Während des Besuchs von Alabali Radovan im Westjordanland ist in Israel ein großer Protesttag abgehalten worden. Es kam landesweit zu Demonstrationen und Straßenblockaden mit der Forderung nach einer sofortigen Freilassung der Geiseln und einem Ende des Gaza-Krieges. Eine zentrale Schnellstraße im Bereich der Küstenstadt Tel Aviv wurde blockiert, nördlich von Tel Aviv verbrannten Demonstranten Reifen auf einer Straße.

Das Forum der Geisel-Angehörigen hatte unter dem Motto „Israel steht zusammen“ zu verschiedenen Protestaktionen aufgerufen. Sie werfen dem israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu vor, den Krieg aus politischen Gründen zu verlängern. Seine rechtsextremen Koalitionspartner, von denen sein politisches Überleben abhängt, sind gegen eine Waffenruhe.