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Neuwahl im Juni EU-Parlament schaut Staatschefs auf die Finger

Als Ideengeber und Kontrollinstanz der EU fungiert das Europäische Parlament, das 2024 neugewählt wird. 96 von rund 700 Parlamentariern kommen aus Deutschland.

Von Steffen Honig 18.01.2024, 18:00
Das Europäische Parlament in Brüssel.
Das Europäische Parlament in Brüssel. Foto: Imago

Magdeburg - Von Steffen HonigMagdeburg/Brüssel. In den Anfangsjahren waren im Europäischen Parlament Doppelmandate üblich: Die Abgeordneten wurden von den nationalen Parlamenten nach Brüssel und Straßburg abkommandiert. Das sagt einiges über den Stellenwert der Volksvertretung aus, die ihre erste Sitzung 1958 noch als Parlamentarische Versammlung mit 142 Abgeordneten abhielt. Das Europäische Parlament, wie es seit 1962 hieß, war eher ein demokratisches Feigenblatt für die Staatengemeinschaft denn ein einflussreiches Organ.

Dabei blieb es lange Zeit. Zwar wird das Parlament seit 1979 direkt von den Bürgern in der EU gewählt. Aber die steigende Zahl von Mitgliedsländern – und damit auch von EU-Abgeordneten – bewirkte nicht, dass Parlamentsbeschlüsse viel mehr waren als jede Menge bedrucktes Papier.

Gut für Karrierestart

Das hat sich gewandelt. Heute steht die Wahl ins Europaparlament nicht unbedingt mehr am Ende der politischen Laufbahn, sondern kann der Startpunkt einer Karriere sein.

Der derzeitige Co-Chef der Linkspartei, Martin Schirdewan, trat als Europaabgeordneter bei der Wahl zum Parteivorsitz an. Nachdem er Erfolg hatte, ging er nicht etwa zurück nach Berlin ins Karl-Liebknecht-Haus, sondern lenkt seine Partei vom europäischen Außenposten aus.

Ein sachsen-anhaltisches Beispiel ist der Christdemokrat Sven Schulze, der 2014 im EU-Parlament einstieg und dort bis zu seinem Wechsel nach Magdeburg als Wirtschaftsminister Sachsen-Anhalts im Herbst 2021 tätig war.

Mit der direkten Interessenvertretung für das Land in Brüssel und Straßburg ist es indes schwierig: Sachsen-Anhalt hat in dieser Legislaturperiode nur ein originäres Mandat: das der CDU. Alle anderen Parteien „betreuen“ das Land durch Abgeordnete aus anderen Bundesländern mit. Es liegt auf der Hand, dass darunter Kontakte zwischen Abgeordneten und den Bürgern im Verantwortungsbereich leiden.

Den kleineren Parteien bleibt mit ihren geringen Stimmenanteilen aber nur diese Form der Vertretung. Doch auch bei der Konkurrenz der Großen sind nicht jedem Bewerber Listenplätze gesichert. Die SPD hat für die Wahl 2024 Lothar Rieke aus Magdeburg zwar gewählt, er muss aber erst noch eine bundesweite Abstimmung überstehen, bevor er für die SPD auf dem Stimmzettel erscheinen könnte.

Den günstigen Listenplatz zehn hat sich der sachsen-anhaltische AfD-Kandidat Arno Bausemer bereits gesichert. Nur fiel dem Stendaler sein geschönter Lebenslauf auf die Füße, so dass er seine Parteiämter los geworden ist. Seinen Europa-Ambitionen darf Bausemer jedoch weiter nachgehen.

Die Spitzenkandidatin der CDU ist bei dieser Wahl die Magdeburgerin Alexandra Mehnert. Bei der Union wird nicht noch einmal eine Bundesabstimmung zwischengeschaltet, so dass sie nach den politischen Kräfteverhältnissen in Sachsen-Anhalt mit einem Mandat rechnen kann.

Ihre Vorgängerin Karolin Braunsberger-Reinhold, 2018 gewählt, tritt nach Vorwürfen der sexuellen Belästigung von Mitarbeitern nicht wieder an.

Das Europaparlament hat in seiner Geschichte diverse Affären und Skandale erlebt. Der jüngste Fall rankt sich um die ehemalige Parlaments-Vizepräsidentin Eva Kalli. Die Sache flog Ende 2022 auf. Die Griechin soll für Hunderttausende Euro Bestechungsgeld aus Katar die Interessen des Emirats entgegen ihren EU-Verpflichtungen verfochten haben.

Der Fall zeigt aber auch, wie wichtig das Europäische Parlament international genommen wird. Die zunehmende Stärke bezog es durch das beharrliche Drängen seiner Mitglieder auf größeren Einfluss.

Besondere Verdienste darum hat der einstige Bürgermeister von Würselen in Nordrhein-Westfalen. Der SPD-Politiker zog 1994 ins Europaparlament ein. Sein Name wurde bekannt: Martin Schulz. 2004 wurde er Fraktionschef der Sozialdemokraten. Der Aufstieg des streitbaren SPD-Mannes ging weiter: 2012 wählte ihn das Parlament zum Präsidenten.

Mehr Abgeordneten-Einfluss

Die Stärkung Europas und der europäischen Institutionen war sein Thema. Nach dem Brexit-Entscheid in Großbritannien 2016 legte Schulz den Plan für eine EU-Reform vor. Dieser forderte, eine europäische Regierung zu schaffen, kontrolliert vom Europäischen Parlament. Dass die Volksvertretung heute gemeinsam mit den EU-Regierungen über drei Viertel der gemeinschaftlichen Rechtsvorschriften entscheidet, ist auch Schulz’ Verdienst.

Seine europäische Karriere nahm 2017 ein jähes Ende: Er stieg aus dem Parlament aus, wollte Bundeskanzler werden – und verlor die Wahl krachend.