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Corona-Politik und Karl Lauterbach Forscher unter falschem Verdacht

In der Pandemie haben bundesweit Kitas und Schulen dichtgemacht. Dafür hat der umstrittene Bundesgesundheitsminister Lauterbach eine Erklärung: Die Wissenschaft habe damals dazu geraten. Eine heikle Aussage.

04.02.2023, 17:11
Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) steigt gestern in Berlin-Schönefeld in einen Bombardier-Businessjet, um zur Weltgesundheitsorganisation (WHO) nach Genf zu fliegen.
Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) steigt gestern in Berlin-Schönefeld in einen Bombardier-Businessjet, um zur Weltgesundheitsorganisation (WHO) nach Genf zu fliegen. Foto: dpa

Für Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) war es aus heutiger Sicht ein Fehler, Schulen und Kitas während der Corona-Pandemie so lange und in so weiten Teilen zu schließen. Einen Sündenbock hat er auch gefunden: Experten aus Wissenschaft und Forschung, die die Bundesregierung seinerzeit beraten haben, wie der Charité-Virologe Christian Drosten. Gegenüber der Wochenzeitung „Zeit“ wies Drosten allerdings die Schuld von sich, für die Schulschließungen verantwortlich zu sein. Die Verantwortung sieht er bei der Politik.

„Damals war die Wissenschaft in Deutschland: Die Schulen müssen geschlossen werden, weil es dort zu Übertragungen kommt“, sagte Lauterbach Anfang der Woche im „ARD-Morgenmagazin“. Das hätten die Wissenschaftler der Bundesregierung angeraten.

Richtig ist, dass die Politik zunächst sehr rigorose Maßnahmen zur Eindämmung der Ausbreitung eingeleitet hat. In den ersten Corona-Wellen blieben Schulen und Kitas teils monatelang geschlossen. Dies hatte letztlich schwerwiegende Folgen für die schulische Entwicklung von Kindern und Jugendlichen. Auch wurden damit psychische und physische Probleme ausgelöst oder verstärkt, wie inzwischen durch Studien, Umfragen und Forschung belegt ist.

Meinung der Wissenschaft war nie einheitlich

Weitgehend gesichert war schnell, dass Kinder nur sehr selten an Covid-19 erkranken. Doch inwieweit sie ohne Symptome ein Übertragungsrisiko darstellten, ist am Anfang der Pandemie eines der meistdiskutierten Themen. Und auch in Sachen Schule und Kitas gibt es damals keinen einheitlichen Standpunkt der Wissenschaft.

Der einflussreiche Präsident des Robert-Koch-Instituts (RKI), Lothar Wieler, wusch seine Hände jüngst in Unschuld: „Wir haben immer Empfehlungen abgegeben, mit denen man den Betrieb in Schulen und Kitas hätte laufen lassen können, wenn auch unter Anstrengung.“

Es habe nie nur die Alternative gegeben: entweder wenige Tote oder Schulen offen halten, sagte er Ende Januar im „Zeit“-Interview. Inzwischen hat Wieler als RKI-Chef seinen Rückzug eingeleitet: Er will einen neuen Job bei einem Institut des SAP-Milliardärs Hasso Plattner antreten.

Bereits im Herbst des ersten Corona-Jahres 2020 heißt es vom RKI: Bildungseinrichtungen hätten zwar eine Rolle im Infektionsgeschehen. Aber: „Es ist wichtig, diese Einrichtungen durch Einhalten von Hygienekonzepten weiter offen zu halten.“

DGKH-Sprecher Peter Walger: „Es lohnt nicht, Schulen zu schließen.“

Damals fordert etwa die Deutsche Gesellschaft für Krankenhaushygiene (DGKH), Schulen und Kitas so zu organisieren, dass Kinder und Jugendliche lernten, Hygieneregeln umzusetzen. Der auf Infektiologie spezialisierte Facharzt und DGKH-Sprecher Peter Walger sagt: „Es lohnt nicht, Schulen zu schließen.“

Im Mai 2020 fordern auch die Deutsche Akademie für Kinder- und Jugendmedizin und der Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte eine unbeschränkte Wiederöffnung der Kindergärten und Schulen.

Dieser weitreichenden Forderung der medizinischen Fachgesellschaften erteilt seinerzeit Lauterbach – damals noch als SPD-Gesundheitsexperte in der Großen Koalition unter Angela Merkel (CDU) an wichtigen Entscheidungen beteiligt – eine Absage: Die Kinderärzte meinten es sehr gut. Leider sei es aber falsch, dass Kinder eine geringe Bedeutung für die Pandemie hätten, schrieb er auf Twitter.

Lauterbach sicherte unterdessen gestern dem Chef der Weltgesundheitsorganisation (WHO), Tedros Adhanom Ghebreyesus, bei einem Treffen in Genf die volle Unterstützung Deutschlands für den nicht unumstrittenen Pandemievertrag zu. Wichtig sei aber, dass die WHO-Entscheidungen stets auf wissenschaftlicher Basis stünden und nicht politisch basiert seien, sagte er. (dpa/uk)