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Chef in Magdeburg neu gewählt Journalisten-Verband will Schneisen durch Nachrichtendschungel schlagen

Den Lokaljournalismus in Deutschland betrachtet der DJV-Vorsitzende Mika Beuster als ein „Grundnahrungsmittel" im ländlichen Raum. Die Branche befindet sich in einem Umbruch.

Von Steffen Honig 06.11.2023, 17:10
DJV-Chef Mika Beuster
DJV-Chef Mika Beuster Foto: Uli Lücke

Magdeburg - Volksstimme: Die Pressefreiheit ist ein zentrales Thema auf dem DJV-Verbandstag. Aktuell erleben Journalisten eine Einschränkung der Berichterstattung bei den Palästinenser-Demos, zuvor war das bei Corona-Protesten der Fall. Was bedeutet das für den Journalismus in Deutschland?Mika Beuster: Journalistinnen und Journalisten erleben es tagtäglich, dass ihre Arbeit unter Druck gerät. Bedrohungen, Belästigungen und Störungen der Arbeit sind Alltag, auch im lokalen Bereich. Das ist nicht nur eine Gefahr für die Pressefreiheit, sondern auch für die Demokratie. Denn Journalisten erfüllen eine gesellschaftlich wichtige Aufgabe, die ein Menschenrecht ist, ohne die ich mir eine funktionierende Demokratie nicht vorstellen kann.

Wie kann diesen Entwicklungen begegnet werden?Wir arbeiten mit den Behörden zusammen, um Journalisten besser zu schützen. Da geht es manchmal um Kleinigkeiten: Zum Beispiel, dass Polizisten den bundeseinheitlichen Presseausweis nicht kennen. Da leisten wir Aufklärungsarbeit.

Deutschland ist auch im internationalen Ranking der Pressefreiheit abgerutscht. Wo sehen Sie die Gründe?Ein Grund ist das Nichthandeln des Staates, was den Schutz von Journalisten angeht. Ein anderer ist manchmal auch das Handeln des Staates, wenn ich sehe, dass sich in Hessen ein Journalist, der im Umfeld der AfD berichtet, plötzlich Ermittlungen der Justiz ausgesetzt sieht. Das unterhöhlt die Pressefreiheit. Es gibt aber auch die Gefahr durch missbräuchliche Klagen: Dass Firmen flächendeckend Drohschreiben aussenden, um zu versuchen, Berichterstattung zu unterbinden. Journalismus kann auch durch Medienunternehmen bedroht sein: Wenn nämlich Manager meinen, durch den Rotstift in Redaktionen einsparen zu wollen.

Die Rede ist auch von publizistischer Verarmung.Wir sehen das und es ist durch Studien zu belegen: Dort, wo es keinen Lokaljournalismus mehr gibt, steigen öffentliche Ausgaben, steigt Korruption und sinkt die Wahlbeteiligung. Wenn dem Bürgermeister niemand mehr auf die Finger schaut, macht der auf gut Deutsch gesagt, was er will. Als Lokaljournalist in Hessen weiß ich: Gerade im ländlichen Bereich ist Lokaljournalismus ein Grundnahrungsmittel.

Wie ist das Verschwinden des Lokaljournalismus zu verhindern? Ich wünsche mir, dass es mehr Engagement von Menschen gibt, die sagen: Wir brennen für den Journalismus. Da meine ich auch die Verlegerinnen und Verleger. Es gibt einige, die sich bekennen, andere weniger. Journalismus ist kein Beruf wie jeder andere und keine unternehmerische Aufgabe wie jede andere. Das gilt auch für die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten, die einen Auftrag dazu haben. Journalistische Versorgung ist eine zwingende Voraussetzung für das Gelingen unserer Gesellschaft. Im Koalitionsvertrag der Ampel in Berlin steht die Förderung von Journalismus, um dessen Zukunft sicherzustellen. Da müssen wir endlich ins Handeln kommen. Ich werde alles daran setzen, viele Debatten anzuschieben, damit wir da endlich weiterkommen. Wir können es nicht zulassen, dass es „News Deserts“ gibt – Wüsten ohne Zeitung.

Die elektronische Zeitung hat sich neben der gedruckten etabliert ...Man sollte die gedruckte Zeitung und die Ausgaben auf Tablet und Smartphone nicht gegeneinander ausspielen. Ich glaube schon, dass die gedruckte Zeitung eine Zukunft hat. Aber wenn ich mir die Diskussionen um die Presseförderung anschaue, die von einigen als Pressezustellförderung gesehen wird, finde ich das zu kurz gesprungen. Es kommt darauf an, den Journalismus zu stärken. Und wenn die Menschen die gedruckte Zeitung wollen, sollten wir sie ihnen auch solange wie möglich bieten.

Für Journalisten ist nicht nur eine freie Berichterstattung, sondern auch eine gesicherte Existenz wichtig.Wir können unsere Arbeit nur machen, wenn wir die Voraussetzungen dafür haben: personell und von der Bezahlung her. Es wird immer schwerer, junge Kollegen für diesen Beruf zu begeistern. Das liegt einerseits an Stress und außergewöhnlichen Arbeitszeiten, aber auch an fehlenden Karrierechancen, wie sie in anderen Bereichen geboten werden. Da helfen nicht nur Klagen, sondern da muss was auf den Tisch. Nichtsdestotrotz glaube ich, dass Journalist immer noch der beste Beruf der Welt ist, und wir müssen dafür arbeiten, dass er das auch bleibt.

Es gibt die Trennung zwischen privatem und öffentlich-rechtlichem Rundfunk. Besonders durch seine exorbitanten Spitzengehälter ist der öffentlich-rechtliche Rundfunk in den Fokus geraten. Was muss sich da ändern?Wir sind gut beraten, wenn wir an einem System festhalten, in dem es unterschiedliche Standbeine gibt. Es liegt mir fern, Haltungsnoten zu verteilen. Das Gesamtkonzert entscheidet schließlich, wie die Musik beim Publikum ankommt.

Neben Zeitungen, TV und Radio sind die sogenannten sozialen Medien heute Informationsträger. Für Wahrheit und Toleranz bedeuten sie aber keinen Gewinn..Wir sind alle Sender, heißt es so schön. Soziale Netzwerke gehören zum Alltag der Menschen. Wir müssen aber auf Desinformation aufpassen und auf staatliche Propagandaschleudern. Die können von St. Petersburg oder Peking aus agieren. Sie benutzen dieses Mittel, um Gift in die Gesellschaft zu streuen.

Sie meinen also keine deutschen Regierungseinrichtungen?Nein, keinesfalls. Wir haben aber auch in Deutschland während der Corona-Pandemie gesehen: Es gibt Verschwörungstheoretiker, die sich den ganzen Tag über Fake News einfallen lassen und diese verbreiten. Wir Journalisten sind die Fressfeinde der Desinformation. Wir sind diejenigen, die für Leser, Hörer und Zuschauer eine Schneise durch den Nachrichtendschungel schlagen.

Blicken wir in die Welt: Der Zensurjournalismus ist auf dem Vormarsch. Sehen Sie eine Chance, diese Entwicklung einzudämmen?Wir diskutieren auf dem Verbandstag den European Media Freedom Act (Europäisches Gesetz für Medienfreiheit), der sich im europäischen Gesetzgebungsprozess befindet. Das ist ein Versuch, zumindest europaweit Pfähle für Mindeststandards bei der Pressefreiheit einzuschlagen. Da ist manches verbesserungswürdig, aber es ist ein Versuch. Die Tatsache, dass es in Europa überhaupt ein Gesetz braucht, um die Pressefreiheit zu garantieren, die eine Selbstverständlichkeit sein sollte, zeigt schon, wo wir stehen. Pressefreiheit fällt nicht vom Himmel – sie muss verteidigt werden. Wir als Deutscher Journalisten-Verband wollen eine starke Stimme sein, um diese Pressefreiheit in Europa zu verteidigen.