Schmiergeldverdacht Korruptionsskandal in der Ukraine: U-Haft verhängt
Die Ukraine ist in schwieriger Lage: Die Front bröckelt, das Stromnetz ist beschädigt. Nun fliegt ein Ring bestechlicher Staatsdiener mit Kontakten ganz nach oben auf. Ermittler beginnen aufzuräumen.

Kiew - In einem großen Korruptionsskandal in der Ukraine mit Spuren bis ins Umfeld von Präsident Wolodymyr Selenskyj haben Gerichte U-Haft gegen erste Beschuldigte verhängt. Ein Verdächtiger muss bis zum 8. Januar in Untersuchungshaft bleiben, falls er nicht eine Kaution von 95 Millionen Hrywnja (1,94 Millionen Euro) hinterlegt. Das berichtete der öffentliche Rundfunksender Suspilne aus dem Gerichtssaal in Kiew.
Der Mann soll in das Verschleiern hoher Schmiergeldsummen aus dem staatlichen ukrainischen Atomkonzern Energoatom verwickelt sein. Auch eine Frau muss für 60 Tage in U-Haft; die mögliche Kaution wurde auf 25 Millionen Hrywnja festgesetzt. Sie soll ebenfalls an der inoffiziellen Buchhaltung für die Gruppe korrupter Politiker und Beamter mitgewirkt haben. Insgesamt ist bislang die Festnahme von fünf Personen bekannt.
Für die Ukraine ist es der größte aufgedeckte Korruptionsfall in den mehr als dreieinhalb Jahren des russischen Angriffskrieges. Er trifft das Land in einer schwierigen Lage. An den Fronten im Osten und Süden dringen russische Truppen vor. Das Stromnetz ist durch ständige russische Luftangriffe stark beschädigt. Damit drohen den Ukrainerinnen und Ukrainern im Winter immer wieder Stromausfälle sowie Unterbrechungen der Wärme- und Wasserversorgung.
Zwei Ministerrücktritte
Bis Mittwochabend erklärten unter dem Druck Selenskyjs Energieministerin Switlana Hryntschuk und ihr Vorgänger Herman Haluschtschenko, der zuletzt Justizminister war, ihren Rücktritt. Ministerpräsidentin Julia Swyrydenko kündigte an, sie werde im Parlament die Entlassung der beiden beantragen.
Die Beschuldigten rund um Atomenergo sollen sich an öffentlichen Aufträgen zum Bau von Schutzvorrichtungen für Energieanlagen vor Luftangriffen bereichert haben. Dabei sollen sie von den Firmen jeweils 10 bis 15 Prozent der Auftragssumme als Bestechungsgeld gefordert haben. Ukrainische Anti-Korruptions-Ermittler gehen davon aus, dass umgerechnet mehr als 80 Millionen Euro kassiert wurden.
Selenskyj-Vertrauter als Drahtzieher verdächtigt
Präsident Selenskyj hat öffentlich umfassende Aufklärung zugesagt. Allerdings nennen die Ermittler ausgerechnet seinen langjährigen Vertrauten und früheren Partner im TV-Geschäft, Timur Minditsch, als Drahtzieher des Schmiergeld-Rings. Minditsch ist kurz vor Bekanntwerden der Ermittlungen ins Ausland gereist, ebenso wie ein weiterer Beschuldigter.
Dies bringt den Präsidenten innenpolitisch unter Druck. Außenpolitisch steht das Vertrauen der vielen Länder auf dem Spiel, die die Ukraine in ihrem Abwehrkampf gegen Russland mit Geld und Rüstungsgütern unterstützen.
Geldgeber stehen bislang zur Ukraine
Deutschland und andere europäische Partner halten aber trotz des Skandals an der Unterstützung für Kiew fest. Das sagte Außenminister Johann Wadephul (CDU) vor Journalisten beim Außenministertreffen der G7-Länder wirtschaftsstarker Demokratien in Kanada. Man habe dem ukrainischen Außenminister Andrij Sybiha aber klargemacht, „dass es einen entschlossenen Kampf gegen Korruption in der Ukraine braucht, damit die Unterstützung im Westen auch glaubwürdig bleiben kann“, sagte Wadephul.
G7-Gruppe kritisiert China für Russland-Unterstützung
In einer gemeinsamen Erklärung zum Abschluss ihres zweitägigen Treffens kritisierten die Außenminister der G7-Gruppe Chinas Unterstützung für Russland scharf. Sie verurteilten die Lieferung von Waffen und sogenannten Dual-Use-Gütern, die entscheidend zum russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine beitragen.
Dual-Use-Güter sind Waren, die zu zivilen und auch militärischen Zwecken verwendet werden können. Dass Moskau den Krieg gegen seinen Nachbarn ohne Unterstützung aus Peking zum kaum so lange durchhalten würde, gilt als offenes Geheimnis. Die G7-Gruppe verurteilte auch Nordkorea und den Iran für ihre militärische Unterstützung Russlands.
Zu den G7-Ländern gehören neben Deutschland auch die USA, Frankreich, Italien, Japan, Großbritannien und Kanada. In ihrer Erklärung in Niagara-on-the-Lake in der südöstlichen Provinz Ontario plädierten die Staaten auch für eine sofortige Waffenruhe im Ukraine-Krieg. Ausgangspunkt für Verhandlungen müsse der aktuelle Frontverlauf sein, hieß es.