Otto von Bismarck Man kann Geschichte nicht löschen
Die Umbennung des „Bismarck-Zimmers“ im Auswärtigen Amt in Berlin in Verantwortung der Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) verstehen Kritiker als Mischung von „Cancel Culture“ und modernem Kulturkampf.

Am 18. Januar 1971 legte der Bundesminister für innerdeutsche Beziehungen Egon Franke (SPD) für das von Willy Brandt geführte sozial-liberale Bonner Regierungsbündnis anlässlich des 100. Jahrestages der Proklamation des Deutschen Kaiserreiches am Grabe Otto von Bismarcks in Friedrichsruh einen Kranz nieder.
Bundeskanzler Willy Brandt, Sozialdemokrat, Widerstandskämpfer während der NS-Zeit und seit Oktober 1969 deutscher Bundeskanzler, würdigte damals die Reichsgründung von 1871 als ein „Werk Bismarcks“, den er als einen „der großen Staatsmänner unseres Volkes“ bezeichnete. Die Vereinigung des territorial zersplitterten Deutschlands durch „Blut und Eisen“ – also durch einen Krieg mit Frankreich – habe, so Brandt, „den damaligen Einsichten und Möglichkeiten“ entsprochen.
Otto von Bismarck, der am 1. April 1815 in Schönhausen/Elbe das Licht der Welt erblickte und am 30. Juli 1898 in Friedrichsruh starb, hat nach 1871 stets den außenpolitischen Grundsatz vertreten, das maßgeblich von ihm geschaffene Deutsche Reich sei saturiert, es müsse jetzt darauf achten, Misstrauen in seine Absichten „durch den ehrlichen und friedliebenden Gebrauch“ der eigenen „Schwerkraft abzuschwächen“. Diesen politischen Grundsatz des ersten deutschen Reichskanzlers gilt es immer wieder zu würdigen, wenngleich natürlich auch daran erinnert werden muss, dass Bismarck im Unterschied dazu innenpolitisch zweimal der ihm eigenen „Arroganz der Macht“ erlag. So scheiterte sein „Kulturkampf“ gegen den Partikularismus von Zentrumspartei (unter Ludwig Windthorst) und Katholischer Kirche ebenso wie sein Versuch, die deutsche Sozialdemokratie mittels Ausnahmegesetz politisch auszumerzen.
Gleichwohl haben immer wieder verschiedene Nachfahren seiner einstigen politischen Gegner Bismarcks Lebensleistung Respekt gezollt, und nicht zuletzt gilt der Eiserne Kanzler auch als Begründer des deutschen Sozialstaates.
Im „Bismarck-Jahr“ 1998 wurde im Altmarkdorf Schönhausen wieder ein „Bismarck-Museum“ eingerichtet und eröffnet. Am 30. Juli 1998 jährte sich Bismarcks Todestag zum 100. Mal. Auf einem Festakt am 1. April 1998 – also an Bismarcks Geburtstag – sprach in der Dorfkirche von Schönhausen auch Sachsen-Anhalts sozialdemokratischer Ministerpräsident Dr. Reinhard Höppner. Ich kann mich an seine Worte noch gut erinnern. Höppner erklärte: „Bismarck hätte sich sicher nicht im Traume vorstellen können, dass ausgerechnet ein sozialdemokratischer Ministerpräsident hier ein Bismarck-Jahr eröffnet. Aber das zeigt die ganze Spanne, zeigt Größe und Grenzen dieser Persönlichkeit.
Wir können aus der Geschichte dieses großen Deutschen, aber auch aus der Geschichte des Umgangs mit ihm eine Menge lernen.“ Höppner erinnerte an die 1958 erfolgte Sprengung des Schlosses in Schönhausen und sah darin „einen untauglichen Versuch“ des Umgangs mit Geschichte. Man könne „Geschichte nicht umgehen, indem man sie einfach ausrottet, selbst wenn sie einem nicht gefällt“. Man müsse „sich dieser Geschichte stellen“ und sich mit ihr auseinandersetzen. „Der Eiserne Kanzler“ habe, so Höppner, „die Einheit Deutschlands begründet“. Das gehöre zu Bismarcks „großen historischen Leistungen“.
Im Hinblick auf Bismarcks Sozialgesetze bescheinigte ihm Höppner „Weitsichtigkeit“,und er würdigte dessen Überzeugung, „dass es ohne eine Grundsolidarität nicht möglich“ sei, „eine einheitliche Nation wirklich aufzubauen“.
Das geschah vor nunmehr fast 25 Jahren. Seitdem ist das Bismarck-Museum in Schönhausen ein „Ort des Erinnerns“ (Höppner). Am 30. Juli 2023 bietet der 125. Todestag Bismarcks erneut die Möglichkeit des Gedenkens und auch zu einer – wie 1971 von Willy Brandt veranlasst – öffentlich wirksamen Würdigung.
Deutschlands Außenministerin Annalena Baerbock, die viel in der Welt herumreist und dort gern, wie einst Bismarck, als „ehrliche Maklerin“ nicht nur wahr-, sondern auch ernstgenommen werden möchte, würde ich eine solche Geste empfehlen
In der Tradition des Geschichtsverständnisses von Willy Brandt, der von 1966 bis 1969 selbst Außenminister war, stünde dies allemal. Und Brandt erhielt im Oktober 1971 den Friedensnobelpreis. Vielleicht überzeugt dieser freundlich gemeinte Hinweis dann doch die derzeitige Außenministerin? Ich habe allerdings wenig Hoffnung.