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Nahost-Konflikt Regierung Netanjahu vor UN-Generaldebatte zunehmend isoliert

Immer mehr westliche Länder erkennen einen palästinensischen Staat an und setzen Israel unter Druck. Deutschland lehnt den Schritt weiter ab - ein Drahtseilakt für die Bundesregierung.

Von Benno Schwinghammer, Jörg Blank, Christina Horsten, Christian Fahrenbach und Khang Mischke, dpa 23.09.2025, 00:22
In New York im Mittelpunkt: Frankreichs Präsident Macron
In New York im Mittelpunkt: Frankreichs Präsident Macron Kay Nietfeld/dpa

New York - Immer mehr westliche Partner wenden sich wegen der aggressiven israelischen Kriegsführung im Gazastreifen von der Regierung des israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu ab. Nach Großbritannien und Kanada erkannte am Montag unter anderem auch Frankreich den Staat Palästina an. „Es ist an der Zeit, dem palästinensischen Volk Gerechtigkeit widerfahren zu lassen und den Staat Palästina anzuerkennen“, sagte Frankreichs Präsident Emmanuel Macron bei einer hochrangig besetzten Konferenz zur Zweistaatenlösung zwischen Israel und Palästinensern am Vorabend der UN-Generaldebatte mit mehr als 140 Staats- und Regierungschefs in New York. In den vergangenen Tagen und am Montag hatten unter anderem auch Australien, Portugal, Belgien, Malta, Luxemburg und das Fürstentum Monaco einen Palästinenser-Staat offiziell anerkannt. Sie schlossen sich damit mehr als 150 der 193 UN-Mitgliedstaaten an. Die Bundesregierung will dem Kurs der wichtigsten europäischen Partner zum jetzigen Zeitpunkt nicht folgen, obwohl sie seit langem vehement für eine Zweistaatenlösung plädiert. Israel und sein enger Verbündeter USA boykottierten das Treffen. 

Die Anerkennung Palästinas hat zwar vor allem symbolischen Charakter, markiert aber eine klare Positionsänderung im Nahostkonflikt und isoliert Israel auf internationaler Bühne weiter. Frankreich und Saudi-Arabien wollten mit der Konferenz die Zweistaatenlösung, mit der ein Nebeneinander Israels und eines palästinensischen Staates gemeint ist, als diplomatische Perspektive erhalten und den Druck auf Israel für ein Kriegsende gegen die islamistische Palästinenserorganisation Hamas erhöhen. Zugleich wächst die Sorge, Israels Ministerpräsident Netanjahu könnte mit weiterer Eskalation reagieren.

Israels Kriegsführung in Gaza tötet Zehntausende Zivilisten

Nach dem beispiellosen Terrorangriff der Hamas auf Israel am 7. Oktober 2023 mit etwa 1.200 Toten marschierte die israelische Armee in den Küstenstreifen ein. Mit wachsenden Opferzahlen, desaströsen Bombardements und insgesamt Zehntausenden zivilen Opfern wurde die Kritik an der israelischen Kriegsführung immer lauter. Die Hamas hat dabei noch 48 Geiseln aus Israel in ihrer Gewalt, nach israelischen Informationen sind 20 davon noch am Leben.

Macron bezeichnete das Massaker der Hamas vom 7. Oktober als „offene Wunde“. In Gaza jedoch seien Hunderttausende Menschen vertrieben, verletzt, ausgehungert und traumatisiert worden und ihr Leben werde weiterhin zerstört, obwohl die Hamas erheblich geschwächt sei. „Nichts rechtfertigt den anhaltenden Krieg in Gaza. Nichts“, sagte der französische Präsident. Manche mögen sagen, die Anerkennung komme zu spät oder zu früh, ergänzte Macron. „Doch eines ist sicher: Wir können nicht länger warten.“

Abbas: „Tag des Staates Palästina“ - UN-Chef mit Kritik an USA

Palästinenserpräsident Mahmud Abbas plädiert für einen Neustart in den Bemühungen um Frieden in Nahost. Zweifellos sei dieser Tag der „Tag des Staates Palästina“ und der Beginn eines Friedensprozesses im Nahen Osten, sagte er in einer Videobotschaft und forderte Israel zu Friedensverhandlungen auf. Hamas dürfte keine Rolle in Nahost mehr spielen. Die US-Regierung hatte Abbas das Visum verweigert.

UN-Generalsekretär António Guterres kritisierte die Trump-Regierung indirekt dafür, den Palästinensern die Einreise verwehrt zu haben. Gleichzeitig lobte er den Schritt der Staatengruppe um Frankreich: „Die Eigenstaatlichkeit ist für die Palästinenser ein Recht, keine Belohnung“, sagte der Portugiese. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen sagte, der einzige realistische Friedensplan basiere auf zwei Staaten. 

Baerbock: Das Böse könnte sich durchzusetzen

Die frühere deutsche Außenministerin Annalena Baerbock warnte in ihrer neuen Rolle als Vorsitzende der UN-Vollversammlung, das Ziel der Zweistaatenlösung dürfe nicht aufgegeben werden: „Wenn wir aufhören, das anzuvisieren, was richtig ist, weil wir es noch nicht erreicht haben, dann wird sich das Böse durchsetzen. Das wäre das Ende dieser Institution.“ 

Kanadas Premier Mark Carney sagte, eine Anerkennung sei kein Allheilmittel, betonte aber auch: „Die derzeitige israelische Regierung arbeitet systematisch daran, die Gründung eines palästinensischen Staates zu verhindern.“

Bundesregierung mit Drahtseilakt

Bundesaußenminister Johann Wadephul (CDU) sagte am Rande seines ersten Besuches bei den UN, für Deutschland stehe die Anerkennung eines palästinensischen Staates eher am Ende eines Prozesses hin zu einer solchen Lösung. Für Kanzler Friedrich Merz (CDU) ist die Krise im Nahen Osten ein Drahtseilakt zwischen der Solidarität mit Israel, dem Druck der europäischen Verbündeten und der Stimmung in der deutschen Bevölkerung. 

Die Entscheidung mehrerer wichtiger Staaten aus dem Westen, die traditionell zu Israels engsten Partnern zählen, wiegt besonders schwer. Sie wollen mit der Anerkennung eine Zweistaatenlösung vorantreiben. Auch die Bundesregierung sieht diese gefährdet durch Israels Siedlungsausbau im Westjordanland, Annexionspläne und die Schwächung der Palästinensischen Autonomiebehörde in Ramallah. Für die Palästinenser bedeutet der Schritt zusätzliche Legitimität im Streben nach einem eigenen Staat.

Wie reagieren Netanjahu und Trump?

Diplomaten befürchten, dass die Reaktion von Netanjahu harsch ausfallen könnte. Der israelische Premier sieht die Anerkennung als „enorme Belohnung“ für den Hamas-Terror - er will am Freitag vor der UN-Vollversammlung sprechen. Einige befürchten, er könnte dabei die Annexion von Palästinensergebieten ankündigen. Auch US-Präsident Donald Trump könnte die Entwicklung als engster Partner Israels als Affront betrachten.

Der Nahostkonflikt reicht über ein Jahrhundert zurück: Nach dem Ersten Weltkrieg stand Palästina unter britischer Verwaltung, die Juden eine „nationale Heimstätte“ und Arabern Unterstützung versprach – ein Nährboden für Spannungen. Nach dem Holocaust beschlossen die UN 1947 die Teilung in einen jüdischen und einen arabischen Staat. Während die Araber dies ablehnten, riefen die Juden 1948 Israel aus. 

Der folgende Krieg endete mit Israels Sieg und der Flucht von mehr als 700.000 Palästinensern („Nakba“), weitere Hunderttausende flohen 1967 im Sechstagekrieg („Naksa“). Zwar brachte der Friedensprozess der 1990er Jahre Hoffnung, doch ungelöste Kernfragen wie Grenzverläufe, die Aufteilung von Jerusalem, Flüchtlinge und Siedlungen sowie Gewalt von Extremisten und die Spaltung von Hamas und Fatah verhinderten einen palästinensischen Staat.