Die Lage im Überblick Ukraine-Krieg: Gefangenenaustausch vereinbart - neues Gesetz
Kiew und Moskau vereinbaren einen neuen Gefangenenaustausch. Eine Waffenruhe wird es zunächst nicht geben - die Angriffe gehen weiter. Selenskyj hat zudem mit wütenden Demonstranten zu tun.

Istanbul/Kiew/Moskau - Bei ihren Verhandlungen in der Türkei haben sich Russland und die Ukraine auf einen weiteren Gefangenenaustausch geeinigt - Angriffe beider Seiten gingen derweil nachts unvermindert weiter. Russland meldete Tote, die Ukraine Luftangriffe auf mehrere Gebiete.
Unterdessen kündigte der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj ein neues Gesetz zur Funktion von Antikorruptionsorganen an. Erneut hatten am Mittwoch Tausende Ukrainer für die Rücknahme der jüngst in Kraft getretenen Gesetzgebung zur Korruptionsbekämpfung in der Hauptstadt Kiew sowie vielen anderen Großstädten demonstriert. Die Demonstranten fürchten um die Unabhängigkeit der Korruptionsermittler im Land.
Gespräche in Türkei: Gefangenenaustausch - keine Waffenruhe
Es sollen jeweils 1.200 Gefangene beider Seiten übergeben werden, wie der russische Chefunterhändler Wladimir Medinski nach den Gesprächen vor Journalisten in Istanbul sagte. Seinen Angaben zufolge sollen zudem entlang der Front im seit mehr als drei Jahre währenden Ukraine-Krieg weiter Schwerverletzte ausgetauscht werden. Kiew bestätigte die geplante Fortsetzung der Austausche, nannte aber keine konkreten Zahlen. Medinski sagte weiter, Russland habe zudem die Rückgabe von 3.000 weiteren ukrainischen Gefallenen angeboten.
Die Gespräche am Mittwochabend begannen mit knapp anderthalb Stunden Verspätung. Zuvor hatten sich die beiden Chefunterhändler zu einem kurzen Vieraugengespräch getroffen. Die Unterredung in großer Runde dauerte lediglich 40 Minuten. Der türkische Außenminister Hakan Fidan sagte vor Beginn der Verhandlungen, das ultimative Ziel sei ein Waffenstillstand, der den Weg zum Frieden ebne. Ein Durchbruch dafür bei dieser dritten Verhandlungsrunde galt jedoch bereits vorher als unwahrscheinlich.
Bereits früher vereinbarter Austausch im Gange
Am Abend wurde bekannt, dass der letzte Austausch Gefangener, der bei Verhandlungen im Juni vereinbart worden war, vollzogen worden sei. „Zurzeit befinden sich die russischen Soldaten auf dem Territorium der Republik Belarus“, teilte das Verteidigungsministerium in Moskau bei Telegram mit. Nach Angaben Medinskis wurden jeweils 250 Kriegsgefangene ausgetauscht. Insgesamt belaufe sich die Zahl der Ausgetauschten auf gut 2.400.
Wenig später bestätigte Selenskyj den aktuellen Austausch. „Heute fand bereits die neunte in Istanbul vereinbarte Austauschrunde statt“, schrieb er bei Telegram. Mehr als 1.000 Ukrainer seien von den Russen zurückgegeben worden.
Neues Gesetz zur Korruptionsbekämpfung soll kommen
Mit Blick auf das nun neu angekündigte Gesetz zur Korruptionsbekämpfung versprach Selenskyj in seiner am Abend veröffentlichten Videobotschaft, es werde die Antwort auf alle Sorgen der Demonstranten sein und die Unabhängigkeit der Behörden zur Korruptionsbekämpfung gewährleisten. Er warf den Instituten erneut „russischen Einfluss“ vor. Das neue Gesetz werde das verhindern. Details nannte Selenskyj allerdings nicht.
Auch Ministerpräsidentin Julia Swyrydenko warb bei einem Treffen mit den Botschaftern der G7-Staaten für die kommende Novelle. „Die Regierung der Ukraine ist auf Nulltoleranz gegenüber der Korruption eingestellt“, schrieb die Regierungschefin bei Telegram. Das neue Gesetz werde alle vorhandenen Unstimmigkeiten beseitigen und die Unabhängigkeit der Antikorruptionsinfrastruktur stärken.
Proteste reißen nicht ab
Allein in der Hauptstadt Kiew versammelten sich am Mittwoch wieder in Hörweite des Präsidentensitzes und trotz geltendem Kriegsrecht nach Medienberichten mindestens 1.500 Menschen. Auch in über einem Dutzend weiteren Großstädten wie Lwiw, Charkiw und Odessa kam es zu Demonstrationen. Die Teilnehmerzahlen überstiegen die Werte des Vortages deutlich, als es zu ersten spontanen Versammlungen gekommen war.
Denn Tags zuvor hatte das Parlament in Kiew im Eiltempo Gesetznormen beschlossen, die das 2015 geschaffene Nationale Antikorruptionsbüro (NABU) und die Spezialisierte Antikorruptionsstaatsanwaltschaft (SAP) weitgehend der Generalstaatsanwaltschaft unterstellen. Spontan protestierten in mehreren Großstädten Tausende vor allem junge Menschen gegen die Novelle und forderten ein Veto des Präsidenten. Dieser unterzeichnete das Gesetz am Dienstagabend, und es trat nach der Veröffentlichung sofort in Kraft.
Angriffe gehen weiter - Russland meldet Tote
Bei einem nächtlichen ukrainischen Drohnenangriff in Russland im Badeort Sotschi am Schwarzen Meer wurde russischen Angaben nach eine Frau getötet. Die Zivilistin sei durch herabfallende Trümmerteile umgekommen, berichtete die staatliche Nachrichtenagentur Tass unter Berufung auf das regionale Krisenzentrum. Eine weitere Frau sei schwer verletzt worden, hieß es.
Tass meldete zudem den Tod eines Zivilisten im russisch besetzten Gebiet Donezk im Osten der Ukraine. Dieser sei bei einem ukrainischen Angriff auf eine Wohnsiedlung in Horliwka getötet worden, hieß es unter Berufung auf die russische Besatzungsverwaltung.
Die Darstellung konnte nicht unabhängig überprüft werden. Von ukrainischer Seite gab es dazu zunächst keine Angaben.
Am späten Abend hatte Tass unter Berufung auf das russische Verteidigungsministerium den Abschuss von mehr als 20 Drohnen über dem Schwarzen und dem Asowschen Meer sowie über Krasnodar im Süden des Landes gemeldet.
Auch wieder Angriffe auf Ukraine
Medienberichten zufolge gingen auch die zuletzt intensivierten, massiven russischen Angriffe auf die Ukraine unvermindert weiter. Die ukrainische Nachrichtenagentur RBK-Ukraine berichtete unter Berufung auf Behördenangaben von nächtlichen Drohnenangriffen auf die Hafenstadt Odessa die südliche Stadt Mykolajiw. In Odessa seien laut dem Gouverneur Oleh Kiper Sehenswürdigkeiten in der Altstadt, die zum Unesco-Weltkulturerbe gehört, beschädigt. RBK-Ukraine zufolge war auch die zentralukrainische Stadt Tscherkassy Ziel von Luftangriffen.
Die Ukraine verteidigt sich mit westlicher Hilfe seit mehr als drei Jahren gegen eine russische Invasion. Als Teil ihres Abwehrkampfes greift sie auch immer wieder Ziele in Russland an. Die Schäden und Opfer stehen in keinem Verhältnis zu den verheerenden Folgen des russischen Angriffskrieges auf ukrainischer Seite.