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Bündnisverteidigung Schutz des Nato-Luftraums: Alarmstart, Abfangen, Abdrängen

Russische Luftraumverletzungen lösen erneut Beratungen in der Nato aus. Das Bündnis muss auf wachsende Spannungen reagieren und steht vor schwierigen Fragen.

Von Carsten Hoffmann und Ansgar Haase, dpa Aktualisiert: 23.09.2025, 06:19
Dieses von der Luftwaffe zur Verfügung gestellte Foto zeigt einen Eurofighter der Bundeswehr (l) und ein russisches Aufklärungsflugzeug. (Archivbild)
Dieses von der Luftwaffe zur Verfügung gestellte Foto zeigt einen Eurofighter der Bundeswehr (l) und ein russisches Aufklärungsflugzeug. (Archivbild) -/Luftwaffe/dpa

Berlin/Brüssel - Russlands Luftraumverletzungen verstärken die Spannungen an der Ostflanke der Nato und befeuern die Diskussion um eine angemessene Reaktion. Geht Russland immer weiter ins Risiko, um die Nato zu testen? Das Bündnis muss die Balance zwischen entschlossener Abschreckung und einer unbeabsichtigten Eskalation finden. 

Wie werden Luftraumverletzungen bemerkt?

Die Nato-Staaten beobachten aus verschiedenen Positionen mit Radaranlagen den Luftraum und führen diese zu einem Lagebild zusammen. Auch Maschinen, die ohne Funksignal („Transponder“) fliegen, werden bemerkt. In Deutschland ist das Luftoperationszentrum Uedem („Combined Air Operations Centre“ oder CAOC) am Niederrhein nahe der niederländischen Grenze dafür eine zentrale militärische Schaltstelle mit Aufgaben in der Nato sowie für Deutschland.

Das Zentrum hat auch Zugriff auf Aufklärungsergebnisse, wie sie die deutschen Patriot-Systeme auf dem polnischen Flughafen Rzeszow gewinnen. Das CAOC überwacht und sichert den Nato-Luftraum nördlich der Alpen, von Island bis zur Ostflanke rund um die Uhr. Dazu gehören auch die Missionen zur Sicherung des Luftraums in den baltischen Staaten.

Was passiert bei einem Alarm?

Wird ein verdächtig anfliegendes Flugzeug bemerkt, steigen Alarmrotten zu einem Alarmstart („alpha scramble“) auf. In der Regel sind es in Deutschland zwei Eurofighter, die nach Nato-Standard binnen 15 Minuten in der Luft sein müssen. „Bei Alarmierung rennen zwei Piloten zu ihren Kampfflugzeugen“, schreibt die Bundeswehr dazu. Über den baltischen Staaten, die keine eigenen Jagdflugzeuge haben, übernehmen Nato-Partner die Aufgabe in Rotation. 

Zudem halten Verbündete nach den jüngsten Zwischenfällen Verstärkung bereit. So stellt die Bundeswehr künftig vier statt nur zwei Kampfjets, um sich an bewaffneten Schutzflügen über Polen zu beteiligen. Sie sind auf dem Fliegerhorst in Rostock-Laage stationiert. Frankreich stellt drei Rafale-Kampfjets für die Überwachung des Luftraums an der Ostflanke, Dänemark zwei F-16.

Was bedeuten Abdrängen, Abfangen, Begleiten?

Das Abfangen beschreibt eine militärische Handlung, die das Verfolgen, Identifizieren und Begleiten verdächtiger Flugzeuge umfasst. In der bisherigen Praxis dient das Abfangen dazu, Klarheit herzustellen und eine Kursänderung zu veranlassen. Die Piloten kommunizieren dazu über Handzeichen oder auch Flugmanöver, wenn auf Funk nicht reagiert wird. Ein Pilot fliegt auf Cockpithöhe, der zweite Pilot kann sich sichernd hinter die auffälligen Maschinen bringen. Ob dann noch Normverhalten oder schon Drohgebärden praktiziert werden, macht einen Unterschied über die Luftraumverletzung hinaus. 

Welche militärischen Handlungen sind denkbar?

Die Piloten der Abfangjäger sind zur Selbstverteidigung autorisiert. Allerdings sind bisher beide Seiten darauf bedacht, schon den Anschein eines versuchten Angriffs zu vermeiden.

Die Luftwaffe des Nato-Staates Türkei hatte 2015 ein russisches Kampfflugzeug Suchoi Su-24 abgeschossen, weil es nach türkischen Angaben aus Syrien in den Luftraum der Türkei eingedrungen war. Es folgte eine politische Eiszeit zwischen Ankara und Moskau. Allerdings birgt der Ostsee-Raum ein erheblich größeres Eskalationspotenzial. 

Denkbar ist, dass Nato-Flugzeuge eingedrungene russischen Maschinen abdrängen, also einen Richtungswechsel bewirken. Die von Estland veröffentlichte Flugroute zeigt eine gerade Linie als eine Art Abkürzung durch den Nato-Luftraum und wieder hinaus. Dabei handelt es sich aber augenscheinlich um eine vereinfachte Grafik.

Was wird in der Nato beraten?

Für das Verteidigungsbündnis stellt sich nach den Ereignissen der vergangenen Wochen die Frage, wie es reagieren soll. In einer ersten Antwort war bereits am 12. September nach dem Auftauchen russischer Drohnen im polnischen Luftraum ein Einsatz für eine noch bessere Überwachung und Verteidigung der Ostflanke gestartet worden. 

Infolge der neuerlichen Luftraumverletzungen kommen nun aber insbesondere aus den betroffenen Ländern Forderungen nach weiteren Schritten. Die Provokationen könnten nicht einfach so hingenommen werden, wenn man glaubwürdige Abschreckung aufrechterhalten wolle, heißt es.

Wie könnte eine Reaktion der Nato aussehen?

Als wahrscheinlich gilt, dass Generalsekretär Mark Rutte nach den Artikel-4-Beratungen eine deutliche Botschaft an Russland sendet. In ihr dürfte deutlich gemacht werden, dass die Luftraumverletzungen inakzeptabel sind und zu einer gefährlichen Eskalation führen könnten. Im Idealfall würden dann weitere Provokationen von russischer Seite unterbleiben – zum einen, weil die Nato mit einer klaren Warnung die Latte für eine militärische Reaktion niedriger gelegt hätte und zum anderen, weil Kremlchef Wladimir Putin befürchten müsste, es im Fall der Fälle wirklich mit allen 32 Bündnismitgliedern zu tun bekommen würde.

Könnte die Nato nicht auch noch deutlicher werden und sagen: Bei der nächsten Luftraumverletzung durch Kampfjets wird geschossen?

Theoretisch wäre das möglich. Das würde es Putin aber erlauben, selbst über eine militärische Verschärfung des Konflikts zu entscheiden. So könnte er etwa russische Piloten eine vergleichsweise harmlose Luftraumverletzung begehen lassen und den folgenden Abschuss dann nutzen, um den Konflikt in seinem Sinne zu eskalieren oder um die Ereignisse kommunikativ für sich zu nutzen. Zugleich bestünde die Gefahr, dass Nato-Staaten wie Italien ihre Kampfjets aus dem Nato-Überwachungseinsatz an der Ostflanke zurückziehen, weil sie nicht wollen, dass ihre Piloten auf Befehl des zuständigen Nato-Befehlshabers ein russisches Flugzeug abschießen.