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Ostbeauftragte Carsten Schneider sieht die SPD in Brandenburg, Sachsen und Thüringen im Parlament „So wichtig wie die Wahlen 1990“

Der Ostbeauftragte Carsten Schneider zeigt sich vor den Urnengängen in Brandenburg, Thüringen und Sachsen besorgt. Er kritisiert besonders das Agieren von Sahra Wagenknecht.

22.08.2024, 16:21
 Carsten Schneider (SPD), Ostbeauftragter der Bundesregierung, besichtigt zum Abschluss seiner Sommerreise am 9. Juli dieses Jahres das Marine-Arsenal Warnowwerft in Rostock.
Carsten Schneider (SPD), Ostbeauftragter der Bundesregierung, besichtigt zum Abschluss seiner Sommerreise am 9. Juli dieses Jahres das Marine-Arsenal Warnowwerft in Rostock. Foto: dpa

Carsten Schneider ist als Ostbeauftragter der Bundesregierung im Grunde der persönliche Beweis dafür, dass die Lebensverhältnisse in Ost und West noch nicht angeglichen sind. Aber die Fortschritte sind groß. Doch vor den Wahlen in drei ostdeutschen Ländern ist Schneider besorgt. André Bochow sprach mit dem SPD-Politiker.

Sie waren gerade in Ungarn beim Gedenken an das paneuropäische Picknick. Am 19. August 1989 wurde die Grenze zu Österreich geöffnet – Hunderte DDR-Bürger nutzten die Gelegenheit zur Flucht. Was sagt uns dieses Jubiläum heute?Carsten Schneider: Vor allen Dingen, dass wir Ländern wie Ungarn und Polen sehr dankbar sein können. Den Polen wegen ihres langen Widerstandskampfes in den achtziger Jahren gegen die sowjetisch geprägte Diktatur und den Ungarn wegen des Lochs im Eisernen Vorhang. Das waren wichtige Voraussetzungen für die Friedliche Revolution bei uns.

Erinnern Sie sich noch an diese Zeit?Das war turbulent. Um die vielen Ausreisen zu erklären, wurde uns in der Schule erzählt, die DDR-Bürger seien betäubt und verschleppt worden. Die zuständige FDJ-Sekretärin stand weinend vor uns und alle anderen haben schallend gelacht. Das war sehr befreiend.

Es folgte dann überall im ehemaligen Ostblock eine Entwicklung hin zur Marktwirtschaft und zur Demokratie. Was sehen Sie denn als das Spezifische der ostdeutschen Entwicklung?Wir haben stark von bestehenden Bündnissen profitiert, wie der EU- und der Nato-Mitgliedschaft. Darum mussten die anderen osteuropäischen Länder lange kämpfen. Aber der wesentliche Unterschied ist, dass die Ostdeutschen die Verantwortung schnell wieder abgegeben haben. Nach freier Volkskammerwahl und Volkskammerbeschluss entschieden meist Westdeutsche. Die Ostdeutschen hätten den Wandel, so wie Polen, Ungarn, Tschechien und andere, sicher auch in eigener Führungsverantwortung geschafft. Dass die Ostdeutschen die schnelle Vereinigung und die D-Mark selbst gewählt haben, wird dabei oft vergessen.Die meisten im Osten sagen, dass es ihnen jetzt gut geht. Die Wahlergebnisse zeigen aber eine große Unzufriedenheit. Wie erklären Sie sich diesen Widerspruch?Da geht es vor allem um Zukunftsangst. Die Zeiten sind unsicher. Corona hat auch eine Rolle gespielt …

… das gilt doch im Westen auch.Ja, aber die Ostdeutschen haben jahrzehntelang im Hamsterrad gesteckt, um sich wieder etwas aufzubauen, und hatten kaum Zeit zum Nachdenken. Das ist nun anders. Die Lage ist viel besser als die Stimmung: Ostdeutschland profitiert von der Ansiedlung großer Unternehmensinvestitionen, dem Ausbau Erneuerbarer Energien, zusätzlichen Bundesbehörden und sinkender Arbeitslosigkeit. Jetzt fürchten viele, das Errungene zu verlieren, und treffen auf populistische Parteien wie die AfD und das BSW, deren Geschäftsmodell es ist, solche Verlustängste zu schüren.AfD und BSW könnten laut Umfragen in Thüringen zusammen die Hälfte der Stimmen bekommen, die Grünen und die FDP aus dem Parlament rausfliegen. Die vergangenen Wahlen haben in Thüringen nicht zu stabilen politischen Mehrheiten geführt. Das könnte sich wiederholen. Wenn Sahra Wagenknecht ankündigt, eine mögliche Koalition an der Außen- und Verteidigungspolitik festzumachen, die nicht mal im Ansatz auf Ebene Thüringens oder Sachsens entschieden wird, dann zeigt das ihre fehlende Ernsthaftigkeit. Bei diesen Wahlen sollte es um eine gute Zukunft für die drei Bundesländer gehen. Und welchen Parteien sie das zutrauen, das haben die Wählerinnen und Wähler in der Hand.

Nun kommt noch die Debatte über die Raketenstationierung hinzu. Wird das die SPD Stimmen kosten?In Thüringen geht es um Thüringen, in Sachsen um Sachsen und in Brandenburg um Brandenburg. Weltpolitische Entscheidungen werden da nicht getroffen. Es geht da nicht um Krieg und Frieden, sondern um Lehrer, Polizisten oder die Unterstützung der Kommunen. Aber die Polarisierung bei diesem Thema kann dazu führen, dass Empörungssurfer wie Frau Wagenknecht erfolgreich sind.Die Hälfte der Bevölkerung will die Raketenstationierung nicht, im Osten sind es laut einer Umfrage 60 Prozent. Aber der Kanzler hat die Stationierung verkündet und der Bundestag soll darüber nicht entscheiden.Ich glaube, wir stehen am Anfang einer größeren Debatte. Eine Regierungsentscheidung ist das eine, das Ringen um gesellschaftliche Unterstützung das andere. Grundsätzlich ist die Sicherheitspolitik eine Sache für die nächste Bundestagswahl.

Halten Sie selbst die Raketenstationierung für richtig?Ja. Man muss doch nur mal schauen, welche Waffen aus Kaliningrad auf uns gerichtet sind, und das liegt vor unserer Haustür. Aber natürlich wünsche ich mir eine weltweite Abrüstung. Die wird allerdings nur dann erfolgreich sein, wenn man einem aggressiven Verhandlungspartner zeigt, dass man verteidigungsbereit ist.

Viele Ostdeutsche scheinen sehr viel Verständnis für die Politik des Kremls zu haben und relativ wenig Empathie für die Ukraine. Täuscht der Eindruck?Es entsetzt mich, wie teilweise über die Ukraine und die Ukrainer gesprochen wird. In Ost und West. Mit welcher Nonchalance über das Existenzrecht dieses Landes hinweggegangen wird, nicht zuletzt von AfD- und BSW-Politikern. Es gibt aber auch viele, die sagen, wir müssen die Ukraine noch stärker unterstützen, damit sie sich wehren kann und damit letztendlich Freiheit und Demokratie in Europa verteidigt werden. Leider dringt vor allem in Ostdeutschland zu oft die russische Propaganda durch.

Die SPD könnte wegen der Raketendebatte in Thüringen und Sachsen aus dem Landtag fliegen, in Brandenburg könnte das Thema Dietmar Woidke den Ministerpräsidentenposten kosten.Woidke wird Ministerpräsident bleiben. Und die SPD bleibt auch in allen Landtagen. Da bin ich Optimist. Aber man muss die SPD schon wählen, wenn man sie im Parlament behalten will. Dass in Thüringen vielleicht eine Zweidrittelmehrheit von Linken, BSW und AfD entsteht, besorgt mich.

Wie wichtig sind diese drei Landtagswahlen für den Osten?So wichtig wie die Volkskammerwahl und die Bundestagswahl 1990.nbr