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Tito Stalins Gegner auf dem Balkan

Er war ein Gigant der Politik des 20. Jahrhunderts. Streiten kann man sich bis heute, ob sich gute und schlechte Taten die Waage hielten. Sein Lebenstraum Jugoslawien zerbrach schnell nach seinem Tod. Vor 130 Jahren wurde Tito geboren.

Von Uwe Kreißig Aktualisiert: 09.05.2022, 10:38
 US-Präsident Richard Nixon (l.) und dessen Frau Patricia (g. r.) werden am 9. September 1970 von Tito und dessen Frau Jovanka (g. l.) auf dem Flughafen in Belgrad empfangen.
US-Präsident Richard Nixon (l.) und dessen Frau Patricia (g. r.) werden am 9. September 1970 von Tito und dessen Frau Jovanka (g. l.) auf dem Flughafen in Belgrad empfangen. Foto: Imago

Josip Broz stammt aus einfachsten bäuerlichen Verhältnissen. Sein Vater ist Kroate, seine Mutter Slowenin – es ist eine nicht untypische jugoslawische Konstellation. Er lernt Schlosser, muss 1914 in den Krieg und gerät in Gefangenschaft. In Russland muss er arbeiten, und er erlernt dabei die russische Sprache. In Petrograd wird er Zeuge der Oktoberrevolution. Sein Leben nimmt nach diesem Erlebnis einen anderen Lauf.

Broz schließt sich den Kommunisten an und rückt schnell auf. 1934 nimmt er den Kampfnamen Tito an, unter dem er später eine Berühmtheit wird, die sich mit Hollywood-Stars oder US-Präsidenten messen lassen kann.

1937 wird Tito nach blutigen „Säuberungen“ durch den NKWD in Moskau Generalsekretär der Kommunistischen Partei Jugoslawiens. Er ist Stalins neuer Mann und dieser schickt ihn zur Probe als „Liquidator“ zu „Säuberungen“ unter Kommunisten in den Spanien-Krieg. Es ist das Geheimnis von vielen, das er am sorgfältigsten verhüllen wird, wie Jože Pirjevec in seiner monumentalen Biographie „Tito“ schreibt.

In der deutschen Besetzung Jugoslawiens baut Tito die Partisanengruppierungen auf, die die einzige militärisch relevante Partisanenarmee im Zweiten Weltkrieg sein wird. Bald schon nennt man ihn „den Adler“.

Nach dem Sieg über Deutschland wird Tito 1945 der neue starke Mann in Jugoslawien. Es kommt zu Massakern an der eigenen Bevölkerung. Allein in den ersten Wochen nach ihrem Sieg ermorden Titos Männer in Jugoslawien unter dem Vorwurf des Faschismus über 70 000 Menschen. Und wer Faschist ist, bestimmen Titos Kommunisten, schreibt Michael Martens in seiner Biographie über den jugoslawischen Schriftsteller Ivo Andric.

Stalin feiert ihn für die Massenhinrichtungen: „Tito ist ein Prachtkerl.“ Als sich die Verhältnisse allmählich beruhigen, macht die Bevölkerung Witze über Tito, der häufig in Protz auftritt und immer dicker wird: „In Belgrad heißt er bei den Leuten Göring und in Zagreb Titler.“

1948 kommt es zum Bruch mit Stalin. Tito will dessen Befehle nicht länger akzeptieren und selbst über sein Land bestimmen. „Wir verfügen über Informationen, dass Tito ein ausländischer Spion ist“, erklärt Andrej Schdanow im Juli 1948. Es ist – neben Trotzkist und Faschist – die schwerwiegendste Beschuldigung, die der Kreml verhängen kann. Stalin schickt, nachdem Tito weder einlenken noch nach Moskau „zum Gespräch“ kommen will, mehrfach Agenten, um ihn ermorden zu lassen.

Titos vom Stalinismus geprägte Instinkte verlassen ihn auch später nicht. Selbst als er bereits unumschränkt und auf Lebenszeit über Jugoslawien herrscht, geht er gegen innerparteiliche Kritiker und Opponenten im Land weiter vor. „Mildere Fälle“ dürfen sich in den Westen absetzen oder mitunter sogar nach Moskau, einstige Wegfährten wie der Parteiintellektuelle Milovan Đilas kommen ins Gefängnis und die anderen auf die Insel Goli Otok, wo sie Prügel und härteste Zwangsarbeit erdulden müssen. Im Westen interessiert das niemand, solange er ein beständiger Gegenpol zu Moskau bleibt.

Relativ zeitig erlässt Titos Reise- und Arbeitsfreiheit für die Jugoslawen. Damit löst er – zumindest partiell – massive Wirtschafts- und Finanzprobleme seines Landes, wo man auch auf zu großem Fuß lebt. Die jugoslawischen Gastarbeiter, die in ganz Westeuropa tätig sind, spülen mit Transfers und Abgaben bald jedes Jahr Milliarden an Dollar in ihr Heimatland. Auch der (West)tourismus an die Adria wird spätestens Anfang der siebziger Jahre eine beständige Devisenquelle für das Land.

Sein weltpolitisches Lieblingsprojekt – die Gründung der „Blockfreien Staaten“ im Jahr 1961 – hat verheißungsvolle Anfänge, verliert aber schon in den siebziger Jahren die große Bedeutung. Die Organisation selbst besteht aber bis heute und hat über 100 Mitgliedsstaaten.

In der DDR weiß dagegen kaum jemand etwas Genaues über Titos Jugoslawien. Privatreisen für DDR-Bürger sind kaum möglich, die wenigen Plätze hochbegehrt. Korrekterweise wird das Land von der Führung in Berlin faktisch als West-Staat eingestuft. Zudem kann man über Jugoslawien problemlos in den Westen fliehen. Nach außen hin geben sich Ulbricht und später Honecker (der auf Titos Status als Weltpolitiker neidisch ist) gegenüber Tito freundlich, doch sie sind angehalten, dem „Abweichler“ eine gewisse Distanz aufzuzeigen. Es bleibt letztlich bei etwas Handel.

Tito regiert bis zu seinem Tod unangefochten und löst seine Nachfolge nicht. „Diktatoren schaffen sich niemals einen Nachfolger“, sagte er nach Stalins Tod, und so wird er es auch halten.

Titos Beerdigung am 8. Mai 1980 in Belgrad geht in die Geschichte ein. Giancarlo Pajetta, Funktionär der italienischen Kommunistischen Partei: „Ich erinnere mich, wie die Arbeitermiliz mit Maschinengewehren donnernde Salven zum Abschied abfeuert, wie sich Könige und Emire, Lady Thatcher und Breschnew, die Vertreter Chinas, die Oberhäupter aller Staaten, Minister und Generäle aller Armeen erheben. Alle stehen beim Klang der ,Internationale’.“ Nur gut zehn Jahre später zerfällt Titos Jugoslawien für immer.

 Nach anfänglicher Skepsis durch Winston Churchill (l.) wird schließlich daraus eine große Politikerfreundschaft. Am 16. März 1953 empfängt der britische Premier Tito in seinem Amtssitz in London, Downing Street Nr. 10.
Nach anfänglicher Skepsis durch Winston Churchill (l.) wird schließlich daraus eine große Politikerfreundschaft. Am 16. März 1953 empfängt der britische Premier Tito in seinem Amtssitz in London, Downing Street Nr. 10.
imago/ZUMA/Keystone