Erneuerbare Energie Kempmann: "Billiger wird der Strom nicht"
Ein neues Ausschreibungssystem für Wind- und Solarparks bedeutigt nicht zwingend niedrige Preise.
Magdeburg l Ab 2017 dürfen nur noch Anbieter Wind- und Solarparks bauen, die der Bundesregierung den günstigsten Strompreis bieten. Ein Ausschreibungssystem tritt dann in Kraft. Über die Konsequenzen für Strompreise und die Versorgungssicherheit der Energiewende spricht Johannes Kempmann, Präsident des Bundesverbands der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW).
Herr Kempmann, künftig sollen in einem Auktionsverfahren die günstigsten Windstromhersteller zum Zuge kommen. Ist das die Wende in der Energiewende?
Johannes Kempmann: Es ist keine Wende, aber ein Schritt in die richtige Richtung. Alle EEG-Anlagen müssen vernünftig ins ökonomische System eingebunden werden. Die Zeiten, in denen für ein unsicheres Produkt - wie es Wind- und Sonnenstrom nun mal ist - eine staatlich festgelegte Vergütung weit oberhalb des Börsenpreises gezahlt wird, müssen ein Ende haben.
Viele kleine Anbieter fürchten das Aus, etliche sehen die Windbranche zusammenkrachen wie einst die Solarsparte.
Das glaube ich nicht. Strom aus erneuerbaren Energien wird auch künftig bevorzugt behandelt: Die bei einer Auktion ausgehandelten Preise werden 20 Jahre garantiert, diese Preise werden ganz sicher über dem Börsenpreis liegen und der Ökostrom wird weiterhin vorrangig ins Netz eingespeist. Das ist immer noch ein ganzes Stück von der Marktwirtschaft entfernt. Auch nach der Gesetzesnovelle muss kein EEG-Anbieter seinen Strom komplett an der Börse vermarkten. Allerdings kann es nicht sein, dass mit der Windenergie an Land ausgerechnet die effizienteste Erzeugungsart ausgebremst wird. Der BDEW hat Vorschläge vorgelegt, wie das verhindert werden kann.
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Sollte die Bundesnetzagentur neue Ökostromparks künftig stärker im Süden ausschreiben, um Netzausbaukosten zu sparen?
Vernünftigerweise werden Anlagen dort gebaut, wo die natürlichen Ressourcen am größten sind. Der Wind bläst im Norden nun mal stärker. Aber: Die Netzausbaukosten gehören bei dieser Betrachtung vernünftigerweise hinzu. Wir müssen den Ausbau der erneuerbaren Energien und den Netzausbau aufeinander abstimmen. Was passiert, wenn das nicht gelingt, zeigt das Beispiel Altmark: Dort können Windmühlen wegen fehlender Netzkapazitäten an etlichen Tagen keinen Strom einspeisen, sie bekommen dennoch Geld für das entgangene Geschäft. Geld, das alle Verbraucher bezahlen.
Also werden die Strompreise weiter steigen?
Ich habe keine Glaskugel, aber billiger wird der Strom sicher nicht. Mit der Umstellung auf die Auktion wird der Anstieg der EEG-Umlage sicherlich gedämpft. Aber: Die auf uns zukommenden Netzausbaukosten sind gewaltig. Allein in die Verteilnetze müssen wir in den nächsten 15 Jahren 25 bis 30 Milliarden Euro investieren. Die milliardenschweren Ausgaben für die großen Strom- trassen nach Süden kommen noch hinzu. In der Politik traut sich niemand zu sagen, was die Energiewende wirklich kostet.
2022 geht die Kernkraft vom Netz. Werden die großen Stromtrassen bis dahin fertig, um den Windstrom nach Bayern, Hessen oder Baden-Württemberg zu bringen – oder geht das Licht aus?
Da ein Großteil der Strecke auf Erdverkabelung umgestellt wird, haben wir Zeit verloren. Ich bin mir recht sicher, dass wir die Leitungen bis 2022 nicht haben werden. Dann könnte es zum Beispiel in Süddeutschland eng werden. Und wir müssten dann zu bestimmten Zeiten mehr Strom importieren. Aus welcher Quelle der dann kommt, ist nicht absehbar, es könnte dann auch Atomstrom aus Frankreich sein.
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Aber Deutschland produziert als Stromexporteur mehr Energie als es braucht.
Wir haben genügend Strom – die Frage ist aber, ob wir ihn zur rechten Zeit auch da haben, wo wir ihn brauchen. Die Photovoltaik trägt im Winterhalbjahr ab dem Nachmittag so gut wie nichts bei. Und wenn es windstill ist, sieht es auch nicht gut aus. Und Kohlekraftwerke gib es im Süden Deutschlands so gut wie nicht. Die Bundesregierung plant daher eine strategische Reserve. Kohle- und Gaskraftwerke, die bei Bedarf anspringen.
Die wir aber immer – auch wenn sie still stehen – bezahlen müssen.
Ja. Versorgungssicherheit hat ihren Preis und muss bezahlt werden.
Was halten Sie von einem Ausstieg aus der Kohleenergie in Deutschland?
Die weitgehende Dekarbonisierung bis 2050 ist ein richtiges Ziel. Aber wir brauchen dringend einen nationalen Dialog mit allen Beteiligten, in welchen Schritten wir das sinnvollerweise machen. Ein Beispiel: Jetzt werden erste Kohlekraftwerke stillgelegt – insgesamt 2,7 Gigawatt. Wird dadurch eine Tonne CO₂ gespart? Nur bedingt. Denn dieser Strom wird dann teilweise auch durch Kohlestrom aus dem europäischen Ausland ersetzt, der zu uns ins Netz fließt. Kohlestrom ist zuverlässig immer da, wo man ihn braucht und er ist billig. Deutschland hat damit seine nationale Klimabilanz zwar aufgebessert, aber für das Weltklima hat sich gar nichts gebessert: Dem ist es nämlich egal, ob das CO₂ in der Lausitz oder in Schlesien in die Luft geht. Wir sehen: Überhastete nationale Alleingänge bringen nichts.
Was halten Sie von Gaskraft als CO₂-sparende Übergangslösung, um Kohle zu ersetzen?
Ich denke, dass wir Gaskraftwerke benötigen und dazu gehören auch kleinere Kraftwerke, um zu vertretbaren Kosten das Netz zu stabilisieren. Doch die Politik muss erstmal klären, was sie will. Die EU will sich vom russischen Gasmarkt stärker unabhängig machen. Dazu müsste mehr Erdgas aus anderen Weltregionen importiert werden. Wir bräuchten zusätzliche Leitungen und Terminals für auf Groß-Tankern transportiertes Flüssigerdgas zum Beispiel aus Nordafrika. Die Bundesregierung zielt aber zugleich auf eine weitgehende Dekarbonisierung bis 2050. Nur: Es investiert niemand in neue Leitungen, wenn 2050 der Hahn schon wieder zugedreht werden soll.
Stromspeicher könnten die Probleme lindern.
Da geht es nicht voran. Deutschland investiert viel zu wenig in die Forschung und Entwicklung. Dabei müssten gerade wir als Land der Energiewende größtes Interesse daran haben.