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Direktverbindung nach London Mit dem Zug ins Ausland - Wie grenzenlos ist das Bahnfahren?

„Zugfahrten über vier Stunden sind eine Tortur“, sagte ein früherer Bahnchef. Doch immer mehr Menschen akzeptieren lange Bahnfahrten. Wie sich das Angebot entwickelt.

Von Michel Winde, dpa 13.06.2025, 04:45
In den frühen 2030ern sollen die Eurostar-Züge von Frankfurt nach London durchfahren - Fahrzeit fünf Stunden. (Archivbild)
In den frühen 2030ern sollen die Eurostar-Züge von Frankfurt nach London durchfahren - Fahrzeit fünf Stunden. (Archivbild) Zhang Cheng/XinHua/dpa

Paris, Amsterdam, Wien - und bald auch London? „Der internationale Fernverkehr boomt“, betont die Deutsche Bahn immer wieder. Seit einigen Jahren baut der Staatskonzern das Angebot in europäische Länder zusammen mit anderen Bahnen kontinuierlich aus. Ganz neu auf der Landkarte der Direktverbindungen könnte in wenigen Jahren die britische Hauptstadt stehen. 

Aber wie gut ist das internationale Angebot der Deutschen Bahn wirklich? Wo gibt es weiße Flecken? Und welche Verbindungen hat die Bahn schon jetzt zur anstehenden Reisesaison im Angebot? 

Eine Selbstverständlichkeit sind direkte Zugverbindungen, die europäische Metropolen miteinander verbinden, noch lange nicht. Von einem europäischen Bahnnetz, das ineinandergreift, können Fahrgäste nur träumen.

Ex-Bahnchef: „Zugfahrten über vier Stunden sind eine Tortur“

Deutlich wird das allein daran, mit welchem Bohei die Deutsche Bahn neue Verbindungen wie die zwischen Berlin und Paris vermarktet. Seit Ende 2024 fährt ein Zug täglich von der deutschen in die französische Hauptstadt und umgekehrt - Fahrzeit rund acht Stunden. 

Sebastian Wilken, der über das internationale Zugfahren auf seinem Blog Zugpost schreibt, begrüßt derlei Verbindungen. Allein: „Das sind Leuchttürme in einem riesigen Nebelmeer.“ Ein Zug täglich zwischen Berlin und Paris ersetze wahrscheinlich nicht mal drei Flüge. „Es wäre schön, wenn man stündlich eine Verbindung hätte, meinetwegen auch mit Umsteigen in Frankfurt.“ 

Für Wilken sind die Direktverbindungen „auch ein bisschen ein Marketing-Gag“. Dabei seien Umsteige-Verbindungen genauso gut - wenn sie denn koordiniert seien. Den Grundgedanken der neuen Verbindungen befürwortet Wilken aber ausdrücklich - „dass die Bahn selbstbewusst sagt: Ja, es gibt Leute, die sich acht Stunden in den Zug setzen. Das war mal anders.“ Anfang des Jahrtausends hatte der frühere Bahnchef Hartmut Mehdorn noch gesagt: „Zugfahrten über vier Stunden sind eine Tortur.“

Vor allem Strecken mit langer Fahrzeit wachsen

Es gab ein Umdenken - nicht nur bei der Bahn. Auch die Fahrgäste nehmen die neuen Verbindungen gut an. Nach Bahn-Angaben ist eine Auslastung von 90 Prozent zwischen Berlin und Paris keine Seltenheit. Drei von vier Fahrgästen reisen demnach die komplette Strecke. „Acht Stunden im Zug für Paris-Berlin ist für mehr Menschen mittlerweile akzeptabel, als es vielleicht noch vor fünf oder zehn Jahren gewesen wäre“, sagte Bahn-Fernverkehrsvorstand Michael Peterson kürzlich der Deutschen Presse-Agentur. 

Eine neue Analyse des bundeseigenen Konzerns zeigt, dass das Wachstumspotenzial grenzüberschreitender Verbindungen insbesondere auf längeren Strecken hoch ist. Auf kurzen und mittleren Reiseweiten unter vier Stunden gab es von 2023 auf 2024 ein Wachstum von 1,5 Prozent. Bei Reiseweiten ab vier Stunden waren es demnach 5 Prozent. Spitzenreiter ist die Verbindung zwischen Berlin und Krakau (7 Stunden) mit einem Plus von fast 30 Prozent, gefolgt von Hamburg-Kopenhagen (4.45 Stunden) mit 19 Prozent.

Bahn spricht vom „Vier-Stunden-Mythos“

„Entgegen der verbreiteten Annahme, dass Reisende für weite Strecken die Bahn eher meiden ("Vier-Stunden-Mythos"), ist genau dort das Fahrgastwachstum am größten“, heißt es aus dem Bahntower.

Von Frankfurt nach London soll es mit der geplanten Direktverbindung nur noch fünf Stunden dauern statt derzeit mit Umstieg mindestens sechseinhalb. Wie die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ berichtete, will Eurostar „in den frühen Dreißigerjahren“ vor allem die Verbindungen nach Deutschland und in die Schweiz kräftig aufstocken. Ob es tatsächlich dazu kommt - unklar. Der frühere Bahnchef Rüdiger Grube kündigte bereits 2010 an, dass spätestens von Ende
2013 an ICE-Züge Frankfurt sowie Amsterdam mit London verbinden sollten. 

Vor wenigen Wochen kündigte die Bahn nun außerdem eine Zusammenarbeit mit der italienischen Trenitalia und den Österreichischen Bundesbahnen (ÖBB) an, die neue Direktverbindungen von München nach Mailand und Rom von Ende 2026 an umfasst.

Nach Angaben des Interessenverbands Allianz pro Schiene sind die direkten Nachbarländer Deutschlands mittlerweile „in den meisten Fällen bereits heute gut mit der Bahn zu erreichen“. Das gelte sowohl für Fernzüge als auch für Regionalzüge im „kleinen Grenzverkehr“, sagte der Leiter Verkehrspolitik, Andreas Geißler, auf Anfrage. 

In acht Stunden von München an die Adria-Küste

Ein Hindernis für den grenzüberschreitenden Bahnverkehr sei immer noch der verschleppte Ausbau der Infrastruktur: Nur 28 von 57 Eisenbahn-Grenzübergängen von Deutschland in die Nachbarländer seien elektrifiziert. Gerade in Richtung Osteuropa bestehe großer Nachholbedarf. 

Beim Blick auf die Auslandsverbindungen der Deutschen Bahn wird deutlich: In Nachbarländer wie Polen, Tschechien, Österreich, Frankreich oder die Niederlande gibt es Verbindungen. Was fehlt sind vor allem Strecken, die darüber hinaus gehen, etwa nach Spanien, Schweden, ins Baltikum oder nach Kroatien. Ausnahmen sind unter anderem Italien und Ungarn. 

Schon jetzt geht es mit dem Zug von München aus nach Bozen, Verona, Venedig sowie Rimini und Ancona an der Adria-Küste. Fahrzeit zwischen München und Rimini: knapp acht Stunden. Nach Budapest geht es von Hamburg über Berlin und Dresden aus in gut 14 Stunden.