1. Startseite
  2. >
  3. Deutschland & Welt
  4. >
  5. Deutschland
  6. >
  7. Erinnerungen eines Bischofs in Ost und West

Kirche Erinnerungen eines Bischofs in Ost und West

Der frühere Kölner Erzbischof Joachim Meisner ist seit drei Jahren tot - und immer noch für Überraschungen gut.

30.06.2020, 10:37

Freiburg/Köln (KNA/vs) l Nachdem sich im Nachlass des Kardinals fast 600 Kunstwerke fanden und für 1,2 Millionen Euro für einen guten Zweck versteigern ließen, sorgt seine Hinterlassenschaft erneut für Aufmerksamkeit.

Im Freiburger Verlag Herder ist am Montag eine Autobiografie erschienen. Die 272 Seiten „Lebenserinnerungen“ diktierte Meisner einer Journalistin in den Monaten vor seinem Tod „in ihre formgebende Feder“, so der Testamentsvollstrecker und Kölner Domkapitular Markus Bosbach. Die Erinnerungen umfassen zwar die komplette Lebensspanne des konservativen wie streitbaren Kardinals.

Der Titel „Wer sich anpasst, kann gleich einpacken“ bezieht sich denn auch nicht auf die kirchliche Reformdebatte, sondern auf die katholische Opposition hinter dem Eisernen Vorhang. Teils liest sich das Buch wie ein Krimi. Von Berlin aus pflegte Meisner intensive Kontakte zur unterdrückten tschechoslowakischen Kirche. Er beschreibt, wie er nach einem Treffen mit Kardinal Frantisek Tomasek ausgefragt wird und sich der Grenzer mit Wut erwehrt: „Wir haben jedenfalls nichts besprochen, was die Existenz Ihrer Republik infrage stellen könnte.“

Der Kardinal leistete nicht nur praktische Hilfe für die Untergrundkirche, indem er etwa Kopiergeräte, die im Ostblock nur unter starken Reglementierungen erhältlich waren, unauffällig organisierte. Als „höchst gefährlich“ stuft er die rund 60 geheimen Priesterweihen ein. Immer an einem Sonnabendnachmittag hätten ihn die Kandidaten zu zweit aufgesucht, wo sie sich mit einem Erkennungszeichen, einer kleinen Nepomukfigur, ausweisen mussten. „Die Weihe nahm ich dann in der Nacht in meiner winzigen Hauskapelle in Berlin vor.“

Testamentsvollstrecker Bosbach rang mit sich, wann und wie er die Erinnerungen veröffentlichen sollte. Auf Kommentare oder kirchen- und zeitgeschichtliche Einordnungen verzichtete er. Die müssten andere vornehmen, so der Domkapitular. Das gilt besonders mit Blick auf zwei Kirchenmänner: den Sekretär der damaligen Berliner Bischofskonferenz, Prälat Paul Dissemond, und den Berliner kirchenpolitischen Prälaten Gerhard Lange.

An ihnen lässt Meisner kein gutes Haar. Den Geistlichen, die bereits unter seinem Vorgänger Alfred Bengsch die Kontakte zwischen Staat und Kirche zu pflegen hatten, wirft er eine zu große Nähe zum DDR-Regime vor. Sogar von „Verrat“ spricht er bei Lange, der 2018 starb und mit bischöflichem Segen beigesetzt wurde.

Auffällig sind wie in allen Autobiografien die „Leerstellen“: Namen fehlen, etwa der seines langjährigen Gegenpols in der Bischofskonferenz, Kardinal Karl Lehmann, oder Papst Franziskus. Meisner „reloaded“ – so lesen sich die Passagen über den von ihm betriebenen Ausstieg der Kirche aus der Schwangerenkonfliktberatung oder seine Nähe zu Papst Johannes Paul II.

Neu klingen indes seine O-Töne über die „Politiker des Westens“: Kanzler Helmut Schmidt, der den Kardinal nach seinen Angaben zweimal im Jahr aufsuchte, hielt er – wohlwollend gemeint – für einen „Humanisten mit metaphysischem Hintergrund“, bis der Politiker sich mal als Atheist geoutet habe.

Helmut Kohl sei zwar gläubig gewesen, aber auch „dialogunfähig“. „Er redete zwei Stunden lang, erzählte von seinen Erfolgen, aß mit Appetit die halbe Torte, dazu die Pralinen aus dem Schälchen ... Er ist christlich-katholisch, glaubt an Gott“ wird auf „Bild online“ aus dem Buch zitiert. Meisner sei empört gewesen, dass Kohl die junge Angela Merkel zur Familienministerin machen wollte. „Das muß ihm eingeleuchtet haben, denn sie wurde Umweltministerin.“

Für Meisner war Merkel als geschiedene Frau in Lebensgemeinschaft mit einem geschiedenen Mann ein rotes Tuch. Das ließ er sie ungeniert spüren. Bei einem Besuch in Köln begrüßte er sie so: „Na, Frau Landsmännin, Sie kommen wohl zu mir zum Brautunterricht.“

Seinen Wechsel von Ostberlin nach Köln, der 1988 kam, beschloss Papst Johannes Paul II. im Jahr davor gegen seinen Willen: „Du wirst der Erste von vielen Ostdeutschen sein, die in den Westen gehen. Und auch umgekehrt werden viele Westdeutsche in den Osten gehen. Das System kippt“, sagte der damalige Papst voraus.