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RAF Terror-Herbst veränderte Deutschland

Die 44 Tage, die als "Deutscher Herbst" in die Geschichtsbücher eingegangen sind, wirken bis heute nach.

Von Frank Rafalski 04.09.2017, 23:01

Berlin l Der 5. September 1977 ist ein Montag. Arbeitgeberpräsident Hanns Martin Schleyer ist um 17.30 Uhr auf dem Weg vom Büro zu seiner Kölner Wohnung. Plötzlich steht ein blauer Kinderwagen auf der Straße. Aus einer Einfahrt setzt ein gelber Mercedes zurück. Schleyers Fahrer steigt hart auf die Bremse, das Begleitfahrzeug mit den drei Personenschützern fährt auf Schleyers Wagen auf. Im selben Moment eröffnen vier RAF-Terroristen das Feuer. Der Fahrer und die drei Polizisten werden erschossen, der Arbeitgeberpräsident aus dem Wagen gezerrt und verschleppt.

Die Entführung und die dramatischen Wochen, die darauf folgen, werden als „Deutscher Herbst“ in die Geschichtsbücher eingehen. Es sind 44 Tage, die die Bundesrepublik verändern.

Noch am Abend bittet Bundeskanzler Helmut Schmidt (SPD) seine wichtigsten Minister und Berater ins Kanzleramt. Die Entführer, das RAF-Kommando Siegfried Hausner, fordern die Freilassung von elf RAF-Terroristen, unter ihnen die inhaftierten Andreas Baader, Gudrun Ensslin, Jan-Carl Raspe und Irmgard Möller. Am 6. September, kurz vor Mitternacht, tritt erstmals der „Große Krisenstab“ mit den Spitzen der Sicherheitsorgane und aller Parteien des Bundestags zusammen. Sie alle sind sich einig: Der Staat wird sich nicht erpressen lassen.

Was folgt, ist ein wochenlanger Nervenkrieg: Am 13. Oktober entführen vier palästinensische Luftpiraten die Lufthansa-Maschine „Landshut“ auf dem Flug von Palma de Mallorca nach Frankfurt, um den Forderungen der Schleyer-Entführer Nachdruck zu verleihen. Bei einem Zwischenstopp in Aden (Jemen) wird Flugkapitän Jürgen Schumann mit einem Kopfschuss ermordet. Der Irrflug endet in der somalischen Hauptstadt Mogadischu. Am 18. Oktober, kurz nach Mitternacht, wird die Maschine von einem Einsatzkommando der GSG 9 gestürmt, die 86 Geiseln befreit.

Im Nachtprogramm des Rundfunks wird die Nachricht von der Befreiungsaktion in Nordafrika verbreitet. Trotz „Kontaktsperre“ erfahren die Häftlinge davon. Schon bei Verhören haben sie angedroht, dass sie auf einen Selbstmord vorbereitet sind. Mit Hilfe einiger ihrer Anwälte haben sie Waffen und Sprengstoff in den Hochsicherheitstrakt geschmuggelt.

Als am Morgen des 18. Oktobers die Zellen der Häftlinge geöffnet werden, sind Baader und Ensslin tot, Raspe liegt im Sterben. Irmgard Möller überlebt als Einzige mit Stichwunden in der Brust die Todesnacht im siebten Stock des Gefängnisses.

Am 19. Oktober um 16.21 Uhr läutet das Telefon bei der Textaufnahme im Stuttgarter Büro der Deutschen Presse-Agentur. Eine weibliche Stimme beginnt zu diktieren: „Hier RAF (...) Wir haben nach 43 Tagen Hanns Martin Schleyers klägliche und korrupte Existenz beendet. Herr Schmidt (...) kann ihn in der Rue Charles Peguy in Mülhausen in einem grünen Audi 100 mit Bad Homburger Kennzeichen abholen.“ Auf die Zwischenfrage, ob die Anruferin einen Beweis für die Echtheit der Mitteilung habe, antwortet sie knapp: „Sie werden es sehen, wenn Sie das Auto gefunden haben.“

Wegen der von der Regierung verfügten „Nachrichtensperre“ wird es noch Stunden dauern, bis die Öffentlichkeit vom blutigen Ende des Geiseldramas erfährt. Der Fundort im Elsass wird weiträumig abgesperrt. Schließlich wird der Kofferraum geöffnet. Darin: Hanns Martin Schleyer, aus nächster Nähe mit Kopfschüssen ermordet.

Bundeskanzlerin Angela Merkel hat später einmal als politische Folge der Schleyer-Entführung zwei Punkte genannt: Der Staat dürfe nicht erpressbar sein. Und: In vergleichbaren Situationen müssten Regierung und Opposition zusammenhalten. Das gilt bis heute. Auch im laufenden Wahlkampf haben sich Merkel und SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz darauf verständigt, die Terrorbekämpfung herauszuhalten, um die gesellschaftliche Geschlossenheit nicht zu gefährden.

Als der „Deutsche Herbst“ endete, war die Fahndungsbilanz zunächst mager. Gerade einmal neun der später 22 ermittelten Tatverdächtigten waren identifiziert. Dennoch zieht RAF-Experte Butz Peters in seinem neuen Standardwerk („1977 – RAF gegen Bundesrepublik“) eine insgesamt positive Bilanz: „Der Blutzoll war hoch. Aber nur so ließ sich künftiges Unheil vermeiden. Der Staat hat die Herausforderung bestanden.“