Polen Demokratie in Not

Über die Beziehungen zwischen Polen und Deutschland sprach Steffen Honig mit der polnischen Politologin Katarzyna Stoklosa.

14.02.2016, 23:01

Volksstimme: Der Vorwurf an die PiS-Regierung lautet, den Staat Stück für Stück zu kapern: Erst Justiz, dann die Medien schließlich alle anderen staatlichen Organe. Ist dies ein Szenario, das Realität werden könnte?

Der PiS-Regierung ist es jetzt schon gelungen, den Rechtsstaat in Polen beträchtlich zu schwächen. Die polnische Demokratie ist angesichts der letzten politischen Entwicklungen und der Entscheidungen der Kaczynski-Leute bedroht.

Der entscheidende Mann im Hintergrund ist Jaroslaw Kaczynski, der schon abgemeldet schien. Wie ist sein Wiederaufstieg zu erklären?

Jaroslaw Kaczynski wird oft mit Wladimir Putin und Viktor Orbán verglichen. Während jedoch Orbán pragmatischer ist, lässt sich Kaczynski überwiegend von seinen Hassgefühlen - vor allem gegen Deutschland -  leiten. Die Politik Kaczynskis erinnert an den polnischen Nationalismus in der Zwischenkriegszeit. Kaczynski ist eine Verbindung aus Dmowski und Piłsudski.

Was haben die Liberalen während ihrer Regentschaft falsch gemacht?

Der Hauptfehler der Liberalen war die Spaltung Polens. Die Mittelschicht wurde immer schwächer. Während die Großstädte wie Warschau, Posen oder Breslau immer mehr prosperierten, mussten Dorfeinwohner in Ostpolen um ihr Überleben kämpfen.

Die Proteste gegen den neuen Kurs zeugen von der politischen und gesellschaftlichen Spaltung des Landes. Wie wäre sie zu überwinden?

Nur die Neuwahlen und der komplette Abgang Kaczynskis von der polnischen politischen Szene – auch wenn er nur im Hintergrund agiert – könnten die Situation verändern.

Die neue Regierung scheint fest im Sattel zu sitzen oder sehen Sie die Möglichkeit vorzeitiger Neuwahlen?

Die Situation in Polen erinnert sehr an die Lage in Ungarn. Nach Orbáns Sieg hofften viele oppositionelle Ungarn auf eine Veränderung und kündigten immer wieder an, dass die Demokratie in Ungarn stärker als Orbán sei. Orbán wurde jedoch immer mächtiger. Die Entwicklung in Polen wird meines Erachtens leider in eine ähnliche Richtung gehen.

Welche Rolle spielt die Kirche?

Der katholische Glaube der Polen wird von Kaczynskis Leuten instrumentalisiert und Richtung Nationalismus gesteuert. Es wird betont, dass die Polen ihre christlichen Werte verteidigen müssen.

Die ehedem sehr guten deutsch-polnischen Beziehungen haben sich verschlechtert. Was muss getan werden, um den Schaden zu beschränken?

Die immer wieder stattfindenden Treffen zwischen Deutschen und Polen auf der Regierungsebene haben wenig Effekt, weil die meisten polnischen Politiker, die jetzt an der Macht sind, nationalistisch und deutschlandfeindlich sind. Vielmehr bringt die Fortsetzung der zahlreichen Kontakte zwischen Deutschen und Polen, die im gesellschaftlichen und wissenschaftlichen Leben beider Länder aktiv sind. Schüler- und Studentenaustausch spielen hier eine enorme Rolle.

Die Visegrad-Gruppe, in der Polen das größte Land ist, erlebt eine Renaissance, gebunden an das Flüchtlingsthema. Ansonsten gibt es innerhalb des Quartetts große Unterschiede: Ungarn, Tschechien und die Slowakei haben ein besseres Verhältnis zu Russland als Polen. Wie tragfähig ist also die Visegrad-Kooperation?

Die Kooperation zwischen den Visegrad-Ländern spielt seit einigen Jahren eine immer geringere Rolle. Diese Kooperation kann auch nicht zur Lösung der heutigen Krisen in Europa – vor allem der Flüchtlingskrise – beitragen, weil sie sich immer mehr gegen die europäische Solidarität wehrt.