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Coronavirus Streit über den richtigen Weg für Schulen

Die Politik kommt immer mehr unter Druck, doch wieder Schulen zu schließen oder zumindest auf Wechselunterricht umzustellen.

11.12.2020, 08:51

Berlin (dpa) l In Sachsen ist es ab Montag wieder soweit, trotz aller Beteuerungen seit dem Sommer, dass Schulen und Kitas möglichst offen bleiben sollen, kommt es zur flächendeckenden Schließung. Die Regierung in Dresden sieht keine andere Möglichkeit, die besonders hohen Corona-Zahlen im Freistaat wieder in den Griff zu bekommen. Noch hat sich kein anderes Bundesland Sachsen angeschlossen. Aber der Druck für schärfere Maßnahmen an den Schulen wächst. Längere Weihnachtsferien, Aussetzung der Schulpflicht, mehr Wechselunterricht - diese Forderungen stehen im Raum.

Bildungs- und Lehrergewerkschaften machen seit dem Herbst Druck in Richtung Bildungspolitik, vom Festhalten am Präsenzunterricht mit ganzen Klassen wieder abzurücken. Die Kultusminister halten dagegen. Zwar findet regional in Gegenden mit besonders hohen Corona-Zahlen sogenannter Wechselunterricht längst statt und auch Schulen werden immer wieder geschlossen. Aber flächendeckend wollen die Kultusminister das möglichst verhindern und wehren entsprechende Forderungen ab. Der Ton ist gereizt. Auch im Netz wird viel gestritten, denn es geht bei dem Thema um ganz grundsätzliche Fragen.

Um diesen Punkt dreht sich alles. Lehrervertreter werfen den Kultusministern vor, Empfehlungen des Robert Koch-Instituts zu ignorieren, bei gestiegenen Ansteckungszahlen über 50 pro 100.000 Einwohner innerhalb einer Woche die Klassen zu halbieren oder in den Wechselunterricht überzugehen. Sie pochen auf den Gesundheitsschutz von Lehrern und Schülern. Vernünftige Vorschläge vom Tisch zu wischen in der Hoffnung, die Infektionszahlen würden schon irgendwie sinken, sei verantwortungslos und politisches Abenteurertum, sagt die Vorsitzende der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft, Marlis Tepe. Bund und Länder hatten einen deutlich höheren Inzidenzwert von 200 verabredet, ab dem die Schulen in den Wechselunterricht gehen können.

Die Kultusminister befürchten durch Wechselunterricht oder "Homeschooling" wegen Schulschließungen Bildungsverluste und soziale Nachteile für Schüler. Diese hätten ein Recht auf Bildung. Schule sei nicht nur Unterricht, sondern auch ein sozialer Raum, den Kinder und Jugendliche dringend bräuchten. OECD-Bildungsdirektor Andreas Schleicher hatte auf mögliche Langzeitfolgen der Schließungen und des Schichtbetriebs vor dem Sommer verwiesen: "Die Lernverluste, die in dieser Krise entstanden sind, die kann man wahrscheinlich mit drei Prozent verlorenem Lebenseinkommen im Durchschnitt gleichsetzen." Besonders werde das Schüler aus benachteiligten Schichten treffen.

Mit steigenden Infektionszahlen wird auch der Ton in der Debatte rauer. Bei Twitter wurde Schleswig-Holsteins Bildungsministerin Karin Prien (CDU) vor wenigen Tagen angegriffen: Das Recht auf Bildung sei ein ganz besonderes Recht. "Aber das heißt nicht, dass man dafür über Leichen gehen muss oder dass man dieses Recht nur in der Form des Präsenzunterrichts wahrnehmen kann", schrieb Nutzerin "Dagmar". ""Über Leichen gehen", das ist Ihre Unterstellung? Sorry, das ist nicht meine Diskussionskultur", schrieb die Ministerin zurück.

Nordrhein-Westfalens Schulministerin Yvonne Gebauer (FDP) empörte sich über den Vorstoß der Nationalen Wissenschaftsakademie Leopoldina, die Schulpflicht ab dem 14. Dezember auszusetzen. Das werde es mit ihr als Schulministerin nicht geben. Auch ihre Kollegin, Baden-Württembergs Bildungsministerin Susanne Eisenmann (CDU), kritisierte die Leopoldina. Den drastischen Schritt der flächendeckenden Schulschließungen wolle man weiterhin zwingend vermeiden, weil man aus der Zeit im Frühjahr gelernt habe, sagte sie.

Das Thema bestimmt den Alltag von Millionen Menschen, deshalb hat auch fast jeder eine Meinung dazu. Schüler, Lehrer, Eltern, Experten diskutieren im Netz, welcher Weg der richtige ist und wo Gefahren und Nachteile für welche beteiligte Gruppe am größten sind. Dabei kommt auch zur Sprache, was es für berufstätige Eltern bedeuten würde, wenn Schulen und Kitas wieder zumachen und ob Schule via Videokonferenz inzwischen besser funktioniert oder nicht, je nach technischer Ausstattung von Lehrern, Schülern und Schule.

Von denjenigen, die die Schulen möglichst offen halten wollen, ist immer wieder ein Satz zu hören: "Schulen sind keine Treiber der Pandemie." Die stellvertretende FDP-Fraktionschefin Katja Suding gehört zu denen, die das sagen. "Wir brauchen für die Schulen erneut ein eindeutiges Bekenntnis zum Präsenzunterricht und eine Absage an bundesweit verlängerte Ferien bis weit in den Januar", fordert sie. Über Wochen geschlossene Schulen könnten für Eltern zur Existenzfrage werden und Schülern aus benachteiligten Haushalten auf Dauer ihre Zukunftschancen verbauen. Das dürfe man kein zweites Mal zulassen.

Das Robert Koch-Institut (RKI) schreibt in seinen Empfehlungen für die Schulen, Kinder und jüngere Jugendliche seien seltener betroffen als Erwachsene und nicht Treiber der Pandemie. "Das sind nicht die Gruppen mit den höchsten Inzidenzen", sagt RKI-Chef Lothar Wieler. Er fügt aber auch hinzu, dass in Schulen "selbstverständlich" auch Infektionen stattfänden und verweist zudem darauf, dass Schulen momentan die einzigen Orte seien, wo noch viele Menschen auf einem engen Raum zusammengebracht würden.

In vielen Fällen bleibt wohl auch unklar, wer sich überhaupt wo angesteckt und das Virus an wen weitergegeben hat, denn nach Expertenangaben zeigen vor allem viele junge Menschen und Kinder gar keine Symptome.