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Kohlepaket "Bruch des Kohlekompromisses droht"

Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Haseloff zu Störmanöver aus Nordrhein-Westfalen und der Abhängigkeit von Russland.

Von Steffen Honig 05.12.2019, 00:01

Magdeburg l Beim Kohlepaket ist Sand im Getriebe, weil ein neues Kraftwerk in NRW die ausgehandelte Balance zerstören würde. Im Gespräch darüber mit Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Reiner Haseloff (CDU):

Im August wurde das 40-Milliarden-Kohlepaket beschlossen. Entgegen den Plänen soll nun in NRW ein neues Kraftwerk öffnen, und das moderne Werk in Schkopau in Sachsen-Anhalt eher geschlossen werden. Das klingt wie aus dem Tollhaus.
Reiner Haseloff: Das geht so gar nicht. Einzelne Standorte haben im Kompromiss der Kohlekommission zwar keine Rolle spielen können. Das Thema war: Klimaziele erreichen, CO₂ reduzieren und vorher Arbeitsplätze schaffen. Das heißt aber nicht, dass wir jetzt in einen Wettlauf um die Abschaltung von Kraftwerken eintreten. Das ist für mich nicht nachvollziehbar. In alten Kraftwerken ist der Wirkungsgrad geringer. Eine vergleichbare Leistung führt zu mehr CO₂-Ausstoß. Deshalb sollen zuerst die ältesten Kraftwerke vom Netz genommen werden und am Ende die neuesten, die noch nicht abgeschrieben sind.

Was sind die Fakten für Schkopau?
Allein in dieses Kraftwerk haben wir in den 90er Jahren umgerechnet rund 300 Millionen Euro Landesgeld hineingesteckt. Es kann nicht sein, dass nach der Hälfte der Laufzeit ein solches Kraftwerk stillgelegt wird. Für uns war das Ende von Schkopau immer mit einer Laufzeit des Tagebaus Profen bis 2035 verbunden. Der Ausstieg 2026, der jetzt im Raum steht, würde sogar 16 Jahre vor dem ursprünglich geplanten Ende des Kohlebergbaus im mitteldeutschen Revier 2042 liegen!

Wie werten Sie das Ansinnen Nordrhein-Westfalens, das dortige Kraftwerk Datteln auf Kosten Sachsen-Anhalts zu betreiben?
Absprachewidrig wäre es, wenn moderne Kraftwerke mit hohem Wirkungsgrad und starker Verbindung in die regionale Wertschöpfung wie Schkopau abgeschaltet würden. Es liefe zudem unserem Ansatz entgegen, erst Arbeitsplätze zu schaffen und erst dann Kraftwerke abzuschalten. Wir hätten maximal sechs Jahre Zeit, um schrittweise Ersatzarbeitsplätze zu schaffen. Das ist vor dem Hintergrund der fehlenden Strukturfördergesetze und der langwierigen Planungsverfahren völlig unmöglich. Es droht ein Bruch des Kohlekompromisses. Wer das tut, stellt alles infrage!

Wie geht es weiter?
Wir konnten in der Vorwoche in einer Runde im Bundeskanzleramt verhindern, dass eine Entscheidung getroffen wurde. Und in der nächsten Woche werde ich im Bundeswirtschaftsministerium die Interessen unseres Landes vehement vertreten. Wir müssen immer an die Menschen vor Ort denken. Wir sollten Verlässlichkeit und Planbarkeit beim Kohleausstieg nicht infrage stellen. Ich habe gerade bei einem Besuch in Zeitz gemerkt: Die Leute sind nicht mehr bereit, so eine Gangart politisch zu akzeptieren. Auch für die an der Rekultivierung beteiligten Unternehmen wäre eine solche radikale Verkürzung unzumutbar.

Das Kohlepaket wäre damit zerfleddert?
Eindeutig. In Sachsen-Anhalt hängen nicht nur Kraftwerke und Gruben daran, sondern auch die Chemieparks und kommunale Betriebe zur Wärmeversorgung. Hier muss nachgearbeitet werden. Das mitteldeutsche Revier ist ja nicht auf Halle und Leipzig zu reduzieren. Es handelt sich um Mansfeld-Südharz und den Burgenlandkreis, die strukturschwächsten Landkreise, die wir haben.

Energiepolitik spielt sich auf verschiedenen Ebenen ab: Sie haben in der Vorwoche beim deutsch-russischen Energieforum in St. Petersburg die Chancen einer beiderseitigen Kooperation betont. Worin liegen diese?
Zunächst: Sachsen-Anhalt ist von den russischen Rohstofflieferungen abhängig, was Erdgas und Erdöl anbetrifft. Wir brauchen daher stabile Rahmenbedingungen. Der größte Einzelgasverbraucher Deutschlands steht bei uns im Land: Das ist das Stickstoffwerk Piesteritz. Die Energiewende wird auch dazu führen, dass die Bedeutung von Erdgas wächst. Denn wir brauchen Gas als Brückentechnologie, wenn Kohlekraftwerke sukzessive abgeschaltet werden. Wir verflechten uns volkswirtschaftlich von Jahr zu Jahr immer stärker.

Was kann Deutschland, was kann Sachsen-Anhalt anbieten?
Russland hat bei Nachhaltigkeit dringenden Handlungsbedarf im Bereich der gesamten Abfallwirtschaft. Nicht nur im kommunalen, auch im industriellen Sektor. Denken wir an Altlasten wie die Papierfabrik am Baikalsee, die gewaltige Umweltschäden angerichtet hat. Wichtig ist der Aufbau einer Kreislaufwirtschaft mit Wertstoffrückgewinnung. Das ist ein riesiger Markt. Angefangen vom Consulting bis hin zu Strukturen, die wir nach der Wende aufgebaut haben. Mit einer ähnlich gearteten Abfallwirtschaft, wie wir sie bis zur Wende hatten, haben wir den gleichen Transformationsprozess auf EU-Recht vorgenommen, den Russland jetzt gestalten will. Wir könnten wirtschaftlich positive Effekte erzielen, wenn wir zu normalen Beziehungen kommen würden.

Nun sind die ökonomischen Beziehungen Russlands zur Europäischen Union aber durch die Sanktionen eingeschränkt.
Deswegen ist der Druck groß, zu politischen Lösungen zu kommen. Klar ist, dass Russland völkerrechtlich den Anlass für die Beschränkungen geliefert hat. Fakt ist eines: Es kann keinen Stillstand geben, es muss verhandelt werden. Ich habe die Hoffnung, dass das anstehende Treffen von der Bundeskanzlerin mit den Präsidenten Frankreichs, Russlands und der Ukraine vielleicht Bewegung hineinbringt. Wir brauchen dort eine Perspektive.

Gibt es konkrete Projekte, die spruchreif sind?
Der russische Vize-Premier Alexej Gordejew will nach Deutschland kommen. Er hat Kontakte zu Unternehmen, die auch in Sachsen-Anhalt tätig sind. Das werde ich aufgreifen.

Die Nordstream-2-Pipeline verbindet Russland und Deutschland, ab Mitte 2020 soll Gas fließen. Das entzweit jedoch die EU, werden sich die Wogen Ihrer Meinung nach glätten?
Wichtig ist, dass der Ukraine kein Nachteil entsteht, wenn Einnahmen durch den Transit russischen Gases wegfallen. Technisch und strategisch werden wir ohne diese zusätzlichen Versorgungsstränge nicht auskommen. Die Bedeutung von Erdgas wird in den kommenden Jahren sprunghaft steigen durch die Substitution von Kernkraft und Kohle. Dafür brauchen wir gesicherte Versorgungsstrukturen. Wer das bagatellisiert, geht an den Realitäten vorbei. Es muss Vertrags- und Planungssicherheit herrschen.

Für gegenseitiges Verständnis helfen Kontakte. Werden diese gleichfalls ausgebaut?
Ganz wichtig ist, dass wir die zwischenmenschlichen Kontakte verstärken, wie wir sie wirtschaftlich etwa durch ein Joint Venture mit Gazprom im Land haben. Das fußt auf den historisch gewachsenen Beziehungen. Da gibt es nicht nur Katharina die Große. Neben der Partnerschaft zwischen Zerbst und Puschkin wollen wir eine Verbindung zwischen Sachsen-Anhalt und dem Großraum St. Petersburg voranbringen und fixieren.