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Linke Wählerschaft Grüne wollen linke Mitte besetzen

Die SPD-Spitze fürchtet die Grünen, die in Umfragen nur noch wenige Prozentpunkte hinter der SPD liegen. Das liegt auch an Robert Habeck.

Von Georg Ismar und Teresa Dapp 06.08.2018, 23:01

Berlin (dpa) l Robert Habeck ist ein erfrischender, lockerer Typ, der gern in Talkshows geladen wird. Doch für Andrea Nahles ist er hochgefährlich. Schleichend, aber hartnäckig wildern die Grünen mit ihren neuen Vorsitzenden Habeck und Annalena Baerbock im Terrain der SPD-Vorsitzenden. Im jüngsten ARD-"Deutschlandtrend liegen sie mit 15 Prozent nur noch drei Punkte hinter den Sozialdemokraten. In Bayern könnten sie im Herbst bei der Landtagswahl hinter der CSU sogar klar zweitstärkste Kraft werden – der SPD droht hinter der AfD Platz vier.

"Führende Kraft der linken Mitte" wollen die Grünen werden, so lautet die offizielle Sprachregelung. Kann man eine Kampfansage an die SPD und ihre Vorsitzende Nahles eindeutiger formulieren? Beide Parteien, die mal als so etwas wie natürliche Partner galten, müssen in einer sich rasant verändernden politischen Landschaft ihren Platz finden. Wie in anderen Ländern auch zersplittert das Parteiensystem.

Erst kamen im linken Lager die Grünen 1980 dazu, und 2007 die Partei Die Linke durch die Fusion der WASG und der Linkspartei/PDS. Abzuwarten bleibt, ob die Linke-Politikerin Sahra Wagenknecht mit ihrer neuen Sammlungsbewegung "Aufstehen" das Parteiengefüge links weiter zerbröseln lässt. Sie könnte gerade der SPD weitere Wähler kosten, wo Parteichefin Andrea Nahles und Vizekanzler Olaf Scholz auf einen Mitte-Kurs setzen, während sich viele Mitglieder und Anhänger der SPD nach der "reinen linken Lehre" sehnen – dazu gehört für sie auch ein Abschied von Hartz IV. Doch was für die SPD-Spitze völlig klar ist: Der größte und gefährlichste Konkurrent sind die Grünen.

Der Zeitgeist ist mehr rechts als links, und die Grünen wollen enttäuschte Wähler der liberalen Mitte einsammeln, auch die, die nicht mehr wissen, wofür die zerrissene SPD noch steht. Und auch bei der nach rechts rückenden Union wildern, das konservative Lager wird auch von einem Umbruch erfasst. Die immer noch recht junge AfD liegt im "Deutschlandtrend" bei 17 Prozent, die Union ist auf 29 Prozent abgesackt. Der Bundesrat, die Länderkammer, ist von den Koalitionen her bereits bunt wie nie. Und die Grünen stellen sich geschickt auf die neue Zeit ein, setzen Themen, während die SPD auf Sinnsuche ist.

Einerseits umarmt das Duo Habeck/Baerbock die zum Realo-Lager ihrer Partei zählen, die Linken. Sie sprechen von Umverteilung und von Gerechtigkeit. Andererseits reisen sie unter dem Motto "Des Glückes Unterpfand" auf der Suche nach Einigkeit, Recht und Freiheit durchs Land, um den Begriff Heimat als "Anti-AfD" positiv zu besetzen.

Wenn Habeck an historische Orte fährt, zum Hermannsdenkmal, auf die Wartburg, zur Frankfurter Paulskirche und zum Hambacher Schloss, dann sendet er damit auch eine eindeutige Botschaft an die Liberalen im konservativen Lager: Wenn euch die sprachliche und thematische Annäherung eurer Leute an die rechtspopulistische AfD nervt, kommt zu uns. Nicht zur SPD. Nahles registriert diese Kampfansage ganz genau.

In seinem Blog berichtet Habeck über die Reise. Er streift dabei auch das Leib- und Magenthema Klimawandel, das gerade deutlich wie selten ins Bewusstsein der Bürger rückt. "Auf der Fahrt nach Rheinland-Pfalz fahre ich durch glühende Landschaften. Die Felder Brandenburgs sind ausgetrocknet, der Weizen, der Mais nur halb so hoch wie sonst. Zu Hause in Schleswig-Holstein werden die Kühe vorzeitig geschlachtet, weil das Futter nicht mehr reicht." Dann kommt er beim Hambacher Schloss an, Symbol der Revolution 1848, das die AfD für sich in Beschlag nimmt. "Die Hambacher wehren sich", berichtet Habeck. "Oben auf dem Turm weht neben der Deutschlandflagge die Europafahne."

Die Grünen setzen Botschaften gegen einen Rechtsruck, verbreiten Aufbruchstimmung – während Nahles' Sommerreise keine Überschrift hat. Es ist ein Sammelsurium aus Besuchen bei SPD-Kommunalpolitikern, in einer Brauerei, bei Siemens, in einem Mühlenmuseum und bei einem Mehrgenerationenhaus. In der Flüchtlingspolitik stehen die Grünen für eine humanitären Helferansatz. Im Gegensatz zu Union und SPD ist die Linie hier klar – wie auf der anderen Seite des Spektrums die AfD.

Nahles sagt, sie wolle Kommunen nicht überfordern, aber geflüchteten Menschen auch helfen. Im Ruhrgebiet und in Ostdeutschland fordern Genossen aber einen schärferen Asylkurs, da die Gesellschaft sich immer stärker spalte. Und durch die SPD geht auch ein Riss, ob man private Seenotretter unterstützen soll, oder ob diese nicht am Ende das Geschäft der Schlepper mit betreiben, da die Hilfseinsätze die Fluchten übers Mittelmeer förderten. Was will "die SPD"? Unklar.

Doch wer Positionen nicht klar klärt, kann der Wähler überzeugen? Die Zeiten gemeinsamer rot-grüner Lagerkämpfe gegen Union und FDP sind bei der Zersplitterung des Parteiensystems längst vorbei – und die Grünen schielen Richtung Union. Nahles wirkt ratlos: "Die Imitation der Grünen hilft uns nicht weiter". Sie will mehr Abgrenzung – wie?

"Wer Abgrenzung nur taktisch einfordert, wird schlicht nicht verstanden", kritisiert ein einflussreicher SPD-Abgeordneter. Klar, mit den Grünen gibt es weiter die größten Gemeinsamkeiten, gerade in der Europa-, Steuer- und Sozialpolitik. Doch die Grünen fassen verstärkt Koalitionen mit der Union als Machtoption ins Auge.

"Wer Abgrenzung nur taktisch einfordert, wird schlicht nicht verstanden", kritisiert ein einflussreicher SPD-Abgeordneter. Klar, mit den Grünen gibt es weiter die größten Gemeinsamkeiten, gerade in der Europa-, Steuer- und Sozialpolitik. Doch die Grünen fassen verstärkt Koalitionen mit der Union als Machtoption ins Auge.

"Aufgrund der Rechtsverschiebung der vergangenen Jahre gibt es derzeit objektiv keine Mehrheit links der Mitte", sagt Jürgen Trittin, ein linker Grüner und ehemaliger rot-grüner Umweltminister. Linke Mehrheiten gebe es nur in vielen politischen Einzelfragen. "Das bringt sowohl die SPD als auch die Grünen in die Situation, dass sie faktisch nur lagerübergreifend Regierungsoptionen haben."

Man bräuchte auch gemeinsam einen dritten Partner. Nahles und Scholz trauen der Linkspartei, gerade Wagenknecht und ihrem Mann Oskar Lafontaine, nicht über den Weg – ihre einzige Machtoption könnte eine Ampel-Koalition mit Grünen und FDP sein. Oder eben die "GroKo".

Seit Jahren versucht die SPD-Spitze es mit einem moderaten Kurs – und sackt weiter ab, den kurzfristigen Höhenflug mit Martin Schulz gab es ausgerechnet, als er auf einen Linkskurs setzte und Hartz-Korrekturen ankündigte – doch dann wurde er eingenordet. "Nahles und Scholz scheinen sich in einer babylonischen Gefangenschaft mit CDU und CSU einrichten zu wollen", so sieht es Trittin. Nahles grenze sich von den Grünen schärfer ab als von der CSU.

Dabei sei etwas Anderes notwendig: SPD, Linke und Grüne müssten diejenigen, die sich von der Politik zurückgezogen hätten, wieder mobilisieren. "Erst dann kann man wieder über eine Mehrheit jenseits der CDU nachdenken", glaubt der strategische Kopf der Links-Grünen. Wenn Nahles Streit zwischen den Kräften links der Mitte bevorzuge, dann gebe sie diese Idee auf.

Neu ist, dass die Grünen nicht nur links, sondern auch verstärkt in der Mitte der SPD Wähler abspenstig machen könnten. So könnten Gerhard Schröders Erben dessen Machtdefinition nochmal in umgekehrter Weise aufs Brot geschmiert werden. Er hatte an die Adresse der Grünen zu Beginn von Rot-Grün im Bund gesagt: "Der Größere ist der Koch, der Kleinere der Kellner." Die SPD holte 1998 40,9 Prozent, die Grünen 6,7 Prozent. Nun könnten die Kellner ihre Köche bald überholen.