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Mauerfall Die krummen Geschäfte des Herrn Schalck

Wie ein DDR-Devisenbeschaffer nach seinem Wende-Absturz die Berlin Villa mit einem Wohnsitz am Teggernsee tauschte.

Von Steffen Honig 20.11.2019, 00:01

Magdeburg l Zum Schluss verhökerte die DDR alles, was sich zu Westgeld machen ließ. Pflastersteine zum Beispiel. Die waren im Osten Deutschlands noch reichlich als Straßenbelag vorhanden. Im asphalt-dominierten Westen ließen sich damit hervorragend die in Mode gekommenen Fußgängerzonen pflastern, um ihnen Ursprünglichkeit zu verleihen.

Ein Fall für den Bereich Kommerzielle Koordinierung, kurz KoKo, des DDR-Außenhandelsministeriums mit ihrem allgewaltigen Leiter Alexander Schalck-Golodkowski. Der 1932 geborene KoKo-Chef war Vize-Minister für Außenhandel und gleichzeitig Offizier im besonderen Einsatz (OibE) des MfS im Range eines Oberstleutnants.

Sein Auftrag, den er Mitte der 1960er Jahre selbst ersonnen hatte, war die Beschaffung von harter Währung für die DDR. An ihr mangelte es wie an so vielem im Sozialismus. Schalck-Golodkowski und seine Mitarbeiter ließen es an Findigkeit und Raffinesse bei der Devisenbeschaffung nicht mangeln.

Nur von der obersten Parteiführung kontrolliert und von der Staatssicherheit abgesichert, entwickelte die KoKo ein konspiratives Eigenleben. Schalck-Goldkowski war somit Diener zweier Herren: von DDR-Staats- und Parteichef Erich Honecker und von Staatssicherheitsminister Erich Mielke.

Mit sozialistischen Prinzipien der Ökonomie hatte das wenig gemein. Die Behörde stand laut Wirtschaftshistoriker Matthias Judt über den geltenden Gesetzen. Sie wickelte etwa die Freikaufgeschäfte mit DDR-Häftlingen ab. Über 30  000 Inhaftierte wurden ab den 60er Jahren zum Gegenwert von über drei Milliarden D-Mark aus DDR-Gefängnissen in die Bundesrepublik gebracht. Ein höchst umstrittenes Geschäft. Zudem kümmerten sich Schalck-Golodkowskis Händler um die Gestattungsproduktion. Westdeutsche Firmen stellten ihre Markenprodukte wie Salamander-Schuhe oder Nivea-Creme auch in Betrieben der DDR her. Der Vorteil für die kapitalitischen Unternehmen waren niedrige Löhne und zahnlose Gewerkschaften.

Für die Masse des DDR-Volkes blieb Schalck-Golodkowski unsichtbar. In Westdeutschland war er umso bekannter.

Ein besonders inniges Verhältnis verband den MfS-Spitzenoffizier mit dem exponierten Antikommunisten Franz Josef Strauß. Gemeinsam mit dem bayerische Ministerpräsidemt und CSU-Vorsitzenden und dem Rosenheimer Unternehmer Josef März landete er seinen größten Coup: Einen Kredit über eine Milliarde DM. Dieses Darlehen, das auf persönlichen Wunsch Honecker eingefädelt wurde, verhinderte 1983 die Zahlungsunfähigkeit der DDR.

Das Bundeskabinett unter Kanzler Helmut Kohl (CDU) übernahm nach einigem Hin und Her die Bürgschaft für den Milliardenkredit des Konsortiums privater Banken, nachdem die DDR den Abbau der Selbstschussanlagen an der innerdeutschen Grenze versprochen hatte.

Ost-Berlin hatte Bonn damit ausgetrickst: Schon 1982 hatte es einen Beschluss über den Abbau der Selbstschussanlagen an vielen Grenzabschnitten vom Typ SM 70 gegeben. Dies zeigen Akten der DDR-Grenztruppen aus dem Freiburger Bundesarchiv-Militärarchiv. Die SM 70 waren unzuverlässig und für die Soldaten der DDR-Grenztruppen selbst zu gefährlich.

Am Resultat änderte das nichts mehr, Schalck-Golodkowski hatte das Geld besorgt und Strauß blieb ihm fürderhin gewogen. Das sollte sich für den KoKo-Regenten, der in einer Villa im Berliner Nordosten lebte, beim Umbruch des Herbstes 1989 auszahlen.

In jenen wilden Wochen, in denen es von Rücktritten in der DDR-Führung nur so hagelte, tauchte Schalck-Golodkowski plötzlich wie eine Art Wirtschaftsweiser im DDR-Fernsehen auf. Schon war der vierschrötige Außenhändler als künftiger Ministerpräsident – was dann Hans Modrow wurde – im Gespräch.

Das Blatt wendete sich jedoch schnell: Immer neue Enthüllungen über die windigen Geschäfte der KoKo brachten Schalck-Golodkowskis Behörde schwer in Verruf. Dem Chef-Devisenbeschaffer wurde der Boden in Ost-Berlin zu heiß. Vor der drohenden Strafverfolgung durch DDR-Behörden wegen Untreue, Devisenvergehen und anderer Straftaten rettete er sich durch Flucht. Am 3. Dezember 1989 machte er sich über den Grenzübergang Invalidenstraße nach West-Berlin aus dem Staub und stellte sich drei Tage später der bundesdeutschen Justiz.

Fortan stand er unter dem Schutz des Freistaates Bayern und dessen führenden Vertretern. Am Tegernsee fand er eine neue, standesgemäße Heimat und führte freimütige Gespräche mit dem BND. All dies empörte viele in der DDR.

Auch Politik und Justiz im vereinigten Deutschland wollten Schalck-Golodkowski nicht so einfach davonkommen lassen. Es gab einen Untersuchungsausschuss im Bundestag. Diverse Anklagen und Prozesse gegen den zwielichtigen Ex-Funktionär endeten mit Bewährungsstrafen.

Der einst Mächtige beriet hier und da Unternehmen und bezog eine gekürzte Rente. Zunächst in einer Doppelhaushälfte in Rottach-Egern lebend, bezog er mit seiner zweiten Frau Sigrid später eine kleinere Wohnung. Dem „Müncher Merkur“ sagte der frühere Bürgemeister Konrad Niedermaier: „Schalck-Golodkowski hat wie ein Geist in Rottach gelebt.“ Begraben liegt er in Berlin.