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Syrien-Konflikt Geist von Helsinki beleben

Die Entspannungspolitik der 1970er Jahre kann eine Vorlage für Syrien-Vermittlungen sein.

Von Steffen Honig 17.04.2018, 01:01

Damaskus l Syrien – das bedeutet sieben Jahre furchtbaren Bürgerkrieg und Flüchtlingselend, das massenhaft bis nach Deutschland durchschlägt. Syrien – das ist der Schnittpunkt eines Interessenkonflikts geworden, der nicht mehr lösbar scheint. Und Syrien heißt Kriegsangst auch bei uns. Weil das System des globalen Krisenmanagements in einem Maße aus dem Ruder gelaufen ist, dass die Gefahr der weltweiten militärischen Eskalition in der Luft liegt.

Warum? Die Anwort erfordert eine kurze Rückschau. Als 2011 in Syrien ein Aufstand gegen das Regime von Präsident Baschar al-Assad im Zuge des „Arabischen Frühlings“ ausbrach, kümmerte sich die Welt kaum darum.

Erst nachdem der Islamische Staat (IS) in Syrien Fuß fasste, wachte der Westen auf. Die USA und etliche Partner – darunter Deutschland – setzten mit einer Miltärmission ohne UN-Mandat auf die Widerstandsbewegung gegen Assad, um die Terroristen zu schlagen und den Diktator zu stürzen. Funktioniert hat das nur bedingt. Erst mit dem Eingreifen Russlands 2015 – unterstützt vom Iran und später der Türkei – wurde der IS zurückgedrängt. Dominierende Mächte, deren gesellschaftliche Systeme weit auseinanderklaffen, versuchen auf engstem Raum, ihre jeweiligen Interessen durchzusetzen.

Was die westliche Allianz nicht zustande brachte, schafften Russland und Verbündete mit brutaler Gewalt. Baschar al-Assad sah sich plötzlich auf der Siegesstraße. Das Kriegsende schien greifbar zu sein – bis zum mutmaßlichen Giftgasangriff von Duma. US-Präsident Donald Trump ergriff die Gelegenheit, Assad und mittelbar Russland abzustrafen. An seiner Seite hatte er Briten und Franzosen.

Kaum aber hat sich der letzte Rauch der Raketen-Attacke verzogen, schallen Rufe nach einer diplomatischen Lösung durch die Welt. Ja, es reicht wahrlich. Das Kriegsfeuer in Syrien muss schnell und nachhaltig ausgetreten werden.

Deutschland, bislang eher ein Rand-Akteur in diesem Konflikt, will dabei kräftig mittun. Nur zu! Das wäre endlich eine klare Richtung. Diese ließ die Bundesregierung in der Vorwoche vermissen. Erst erklärt Kanzlerin Angela Merkel, dass sich Deutschland nicht militärisch hineinhängen wird, um nach dem Angriff in Syrien selbigen zu loben. Dann verkündigt Außenminister Heiko Maas, dass die Deutschen gern vermitteln wollen. Bei so viel Eierei schwindet freilich die deutsche Autorität. Wie gut, dass sich auch der französische Präsident Emmanuel Macron als Vermittler zur Verfügung stellt. Die führenden EU-Länder brächten einiges an Gewicht für eine solche Mission mit. Doch die Gegensätze – insbesondere zwischen den Hauptkontrahenten USA und Russland – sind gewaltig. Einzelne Vorstöße werden nicht ausreichen, um Syrien zu befrieden und insgesamt zu einer spürbaren Entspannung zu kommen.

Es gibt ein historisches Vorbild für erfolgreiche Entspannungspolitik, das sich als Blaupause anbietet: den Helsinki-Prozess von 1972 bis 1975 in Europa. Obwohl der Eiserne Vorhang den mit Atomwaffen bestückten Kontinent teilte, gelang es eine Schlussakte zu verabschieden, die die Prinzipien des Umgangs miteinander fixierte. Darunter Nichteinmischung, Gewaltverzicht und Unverletztheit der Grenzen. Die USA und Kanada waren mit dabei.

Fast 30 Jahre nach der Neuordnung der Welt im Zuge des Untergangs des Kommunismus haben die USA und Russland als weiter dominierende Mächte die Helsinki-Prinzipien ad acta gelegt. Die russischen Interventionen auf der Krim und in der Ostukraine sind dreiste Landnahmen, seit dem US-Einmarsch im Irak ist die Destabilisierung in Nahost beängstigend vorangeschritten. Darüber muss geredet werden. Gemeinsam an einem Tisch und nicht über ihn hinweg wie bei den Schmähungen im UN-Sicherheitsrat.

China und Indien, Iran und Saudi-Arabien gehören mit in eine solche Runde wie die Europäer. Deutschland könnte sich als Brückenbauer nach Russland profilieren. „Ganz unabhängig von Putin – wir dürfen nicht Russland insgesamt, das Land und seine Menschen, zum Feind erklären“, sagt Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier. Die Deutschen wissen, wie das ausgeht.