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Transidentität Kritik an altem Transsexuellengesetz

Die Regelungen zur Änderung des Namens und Geschlechtseintrags sind rund 40 Jahre alt, zum Teil verfassungswidrig und gelten als überholt.

06.08.2019, 08:40

München/Berlin (dpa) l Die erste offen transidente Parlamentarierin in Deutschland, Tessa Ganserer, fordert die Abschaffung des fast 40 Jahre alten Transsexuellengesetzes. Dieses sei entwürdigend und sehe Transmenschen nicht als vollwertige und mündige Bürger an, sagte die Grünenpolitikerin der Deutschen Presse-Agentur in München. "Ich finde, kein Mensch, kein Staat und erst recht kein Richter hat das Recht, über das Geschlecht eines anderen Menschen zu bestimmen."

Transidente und Transsexuelle fühlen sich ihrem biologischen Geschlecht nicht zugehörig. Der Begriff transsexuell kommt aus einem medizinischen Kontext. Heutzutage bevorzugen zahlreiche Betroffene den Begriff der Transidentität. Wie viele transidente Menschen in Deutschland leben, ist schwer zu sagen. Die Bundesregierung geht bis zum Jahr 2011 von mehr als 7000 aus. Das zumindest ist der Stand von 2016. Die Deutsche Gesellschaft für Transidentität und Intersexualität geht von 210.000 bis 500.000 transidenten Menschen in Deutschland aus. Das entspräche rund 0,3 bis 0,6 Prozent der Bevölkerung.

Das Transsexuellengesetz von 1981 regelt, unter welchen Vorraussetzungen Betroffene ihren Vornamen und ihr Geschlecht offiziell ändern können. Inzwischen gilt es als dringend überholbedürftig, zumal das Bundesverfassungsgericht über die Jahre immer wieder Regelungen für verfassungswidrig erklärte. Das Gesetz sieht vor, dass Transidente und Transsexuelle, also Menschen, die mit ihrem biologischen Geschlecht nicht übereinstimmen, mit Psychologen und einem Richter sprechen müssen, um ihren Vornamen und ihr Geschlecht offiziell zu ändern. Dabei werden sie Ganserer zufolge zu "intimsten persönlichen" Themen wie frühkindlichen Erlebnissen, sexuellen Präferenzen und Partnern befragt.

Im vergangenen Sommer verständigten sich die damalige Justizministerin Katarina Barley (SPD), Familienministerin Franziska Giffey (SPD) und Innenminister Horst Seehofer (CSU) dann darauf, gemeinsam Reformen anzugehen. Schließlich hatten die Berliner Regierungsparteien CDU, CSU und SPD im Koalitionsvertrag festgehalten: "Homosexuellen- und Transfeindlichkeit verurteilen wir und wirken jeder Diskriminierung entgegen. Wir werden die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts hierzu umsetzen."

Die Parteien sind sich dabei aber uneins. Während SPD, FDP, Grüne und Linke aufgeschlossen sind für liberalere Regelungen oder gar eine Abschaffung des Transsexuellengesetzes, ist die CDU/CSU mit ihrer konservativeren Wählerschaft zurückhaltender. In der Unionsfraktion wird noch beraten.

"Wir suchen mit den Betroffenen einen Weg, der die rechtliche Situation für sie verbessert und kein ärztliches Gutachten mehr vorsieht", sagt der CDU-Abgeordnete Stefan Kaufmann, der sich in seiner Fraktion mit Gleichstellungsfragen beschäftigt. Er kann sich eine Lösung ähnlich wie beim Schwangerschaftsabbruch vorstellen: Hier müssen Frauen einen Nachweis über ein Beratungsgespräch vorlegen, aber kein Gutachten.

Fraktionsvize Thorsten Frei sagt zwar: "Ich würde die Überlegungen nicht an den Begriffen Gutachten beziehungsweise Beratung festmachen." Eine Parallele zur Schwangerschaftskonfliktberatung würde er aber nicht ziehen wollen. "Fest steht: Eine etwaige Neuregelung darf nicht diskriminierend sein. Aus meiner Sicht bräuchte es in noch näher zu bestimmender Form objektiver Kriterien, damit ein Richter sich bei seiner Entscheidung auf eine fachliche Expertise stützen kann."

Justiz- und Innenministerium schlugen zuletzt vor, dass ein Gericht zwar weiterhin auf Antrag entscheiden soll, dazu aber nur noch ein statt bisher zwei Gutachten notwendig ist. Um zu zeigen, dass es Betroffenen ernst und ihre Entscheidung wahrscheinlich von Dauer ist, sollen zudem deren Ehegatten befragt werden. Gerade dieser Punkt wurde von Verbänden teils massiv kritisiert. Die Deutsche Gesellschaft für Transidentität und Intersexualität lehnte den Referentenentwurf vollständig ab.

Wie es weitergeht, ist unklar – nicht zuletzt, weil es mit Christine Lambrecht (SPD) inzwischen eine neue Justizministerin gibt. Die enorme Kritik auch von Verbänden wirft für Politiker zudem die Frage auf, warum sie sich für derart unpopuläre Neuerungen verkämpfen sollten. "Ich befürchte, dass das jetzt erst einmal liegen bliebt", sagt Jens Brandenburg, der Sprecher der FDP-Fraktion im Bundestag für die Belange von Lesben, Schwulen, Bi-, Trans- und Intersexuellen (LSBTI). CDU-ler Kaufmann meint hingegen: "Ich gehe davon aus, dass im Herbst ein neuer Entwurf kommt."