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Viktor Orban „Meine kleine Handgranate reicht nicht“

Im Konflikt um das Haushaltspaket der Europäischen Union (EU) bleibt Ungarn bei seinem Veto.

27.11.2020, 04:00

Budapest/Brüssel (dpa) „Wir haben kein Angebot erhalten, auf dessen Grundlage das Budget der EU und der Rettungsfonds für die ungarische Regierung annehmbar wären“, erklärte Kanzleramtsminister Gergely Gulyas am Donnerstag auf einer Online-Pressekonferenz.

„Die Dinge stehen weiterhin so, dass Ungarn ein Veto einlegen wird“, fügte er hinzu.

EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hatte Polen und Ungarn zur Aufgabe der Blockade der milliardenschweren Corona-Konjunkturhilfen und des langfristigen EU-Haushalts aufgefordert. Im Zweifelsfall sollten die Länder lieber vor den Europäischen Gerichtshof (EuGH) ziehen und dort den von ihnen kritisierten Rechtsstaatsmechanismus auf Herz und Nieren prüfen lassen, sagte sie am Mittwoch im Europäischen Parlament.

Polen lehnte den Vorschlag umgehend und mit scharfen Worten ab. Der EuGH sei der Ort, an dem man üblicherweise Meinungsverschiedenheiten über Rechtstexte austrage, meinte von der Leyen. Der polnische Justizminister Zbigniew Ziobro widersprach ihr. Die EU-Verträge würden klar regeln, dass der EuGH für diesen Fall keine Kompetenz habe, sagte er am Mittwoch in Warschau. Der Vorschlag der EU-Kommissionspräsidentin sei daher „demagogisch“. Er habe den Eindruck, von der Leyen handele in „böser Absicht“.

Der ungarische Ministerpräsident Viktor Orban brachte die Idee ins Spiel, den neuen Rechtsstaatsmechanismus erst später in Gang zu setzen. „Die in Not geratenen Länder wollen schnell Geld – geben wir das Geld“, sagte er der Wochenzeitung „Die Zeit“. Andere Länder würden Rechtsstaatlichkeitsregeln wollen, worüber sich diskutieren ließe, fuhr er fort. „Die erste Sache müssen wir sofort machen, die zweite Sache ist weniger eilig.“ Die Regelung der Rechtsstaatlichkeit könne „einige Monate warten“.

Zugleich bemühte sich Orban, die Wirksamkeit seines Vetos gegen die Haushaltsbeschlüsse herunterzuspielen. Den Rechtsstaatsmechanismus bezeichnete er als „schleichende“ Änderung der EU-Verträge. Wenn das gegenwärtige EU-Vorsitzland Deutschland ihn unbedingt wolle, werde er aber kommen. „Meine kleine Handgranate reicht dafür nicht“, ihn zu verhindern, meinte Orban unter Bezug auf das ungarische Veto.

Orban kann im eigenen Land auch auf die Unterstützung der regierungsnahen Presse zählen: „Die Option, dass wir auch nur einen Fußbreit nachgeben, gibt es nicht mehr. Wenn wir jetzt nachgeben, verraten wir alles, woran wir stets geglaubt habe. Wenn wir uns jetzt dem Druck der EU beugen, den imperialen Bestrebungen, den wahnsinnigen Fieberträumen eines bis ins Mark verdorbenen alten Mannes (George Soros) ... über irgendeine ,offene Gesellschaft‘, dann gebührt uns kein Platz mehr unter der Sonne ... Wenn wir jetzt nachgeben, verlieren wir alles. Wenn wir jetzt nachgeben, braucht niemand mehr auf uns zu zählen“, schrieb gestern die Tageszeitung „Magyar Nemzet“.

Im Konflikt um das EU-Haushaltspaket hat Polens Außenminister Zbigniew Rau die Blockadehaltung der Regierung in Warschau verteidigt. Polen müsse mit einem Veto drohen, um einen möglichen Bruch der EU-Verträge abzuwenden, schrieb Rau in einem Beitrag für die "Frankfurter Allgemeine Zeitung" (Freitag).

In seinem Beitrag verwies Rau auf das Prinzip der EU-Verträge, wonach die Mitgliedsstaaten "Herren der Verträge" seien. Jetzt wolle die EU mit dem neuen Mechanismus "durch Rechtsanmaßung" Bestimmungen einführen, denen kein Mitgliedsstaat durch Ratifizierung zugestimmt habe. Das widerspreche dem Prinzip des Legalismus. Polen müsse mit einem Veto drohen "um Europa vor einer Verletzung der Verträge zu schützen".