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Ermittlungen Der Mörder und die Toten im Gift-See

Drei Jahre konnte ein Serienmörder auf Zypern kaltblütig mindestens fünf Menschen töten. Die Untätigkeit der Behörden schockiert.

06.05.2019, 13:19

Athen/Nikosia (dpa) l Giftrot schimmert der See Kokkini Limni inmitten einer ehemaligen Kupfermine nahe der zyprischen Hauptstadt Nikosia. Sein Wasser ist von Chemikalien verseucht und stark säurehaltig, Taucher können hier nur mit Spezialausrüstung arbeiten, die Sicht unter Wasser beträgt gerade mal 30 Zentimeter. Und doch durchpflügen die Männer immer wieder das giftige Gewässer. Sie sind auf der Suche nach weiteren Opfern eines Serienmörders.

Am Sonntag bargen die Taucher aus dem "Roten See" eine Kinderleiche, die in einem Koffer versenkt worden war. Es ist das fünfte entdeckte Opfer des Mannes, der bisher sieben Morde gestanden hat – und dessen Kaltschnäuzigkeit für Entsetzen sorgt.

"Findet ihr die Leichen, ich sage euch dann, wer sie sind", soll der 35 Jahre alte mutmaßliche Täter den Ermittlern gesagt haben. So berichten es zyprische Boulevardzeitungen, und sie spekulieren auch darüber, dass es nicht bei den sieben Morden bleiben könnte, die der Mann bisher gestanden hat. Denn der Karrieresoldat der zyprischen Nationalgarde hat den Polizisten angeblich auch gesagt: "Ich habe noch andere umgebracht, geht und sucht sie."

Seit 2016 soll der Mann unentdeckt gemordet haben – und das ist allem Anschein nach auch der Untätigkeit der zyprischen Behörden geschuldet. Bei den Opfern handelt es sich um fünf Haushaltshilfen aus Asien und Rumänien, von denen zwei jeweils eine Tochter im Alter von sechs und acht Jahren hatten. Die Kritik an die Adresse der Behörden lautet, sie hätten frühzeitige Vermisstenmeldungen ignoriert, weil es sich bei den Frauen um "Menschen zweiter Klasse" gehandelt habe.

Davon ist jedenfalls Louis Koutroukidis überzeugt, der Vorsitzende des zyprischen Verbands der Haushaltshilfen. Die Beamten hätten jene Frauen abgewimmelt, die ihre Kolleginnen und Verwandten als vermisst hätten melden wollen. "Auch mich haben sie nach Hause geschickt, als ich die Suche nach einer der Frauen und ihrer kleinen Tochter eingefordert habe", sagt Koutroukidis in einem Fernsehinterview.

Die Beamten hätten ihm erklärt, die Frau hätte sich wahrscheinlich einfach aus dem Staub gemacht. "Dabei lagen zu Hause ihre Pässe, von ihrem Konto war kein Geld abgehoben worden", entrüstet sich der 70-Jährige. Die Frauen, die später Opfer geworden seien, könnten noch leben, hätte die Polizei bei den ersten Vermisstenanzeigen sofort reagiert.

Bekannt war laut Koutroukidis auch schon länger der Spitzname "Orestes", unter dem der mutmaßliche Täter per Internet Kontakt mit seinen späteren Opfern aufnahm. Doch erst, als Touristen am 14. April eine stark verweste Frauenleiche im Schacht einer verlassene Mine entdeckten, wurden die Behörden aktiv. Schnell fanden sie Belege für Online-Chats zwischen "Orestes" und seinem Opfer – und ermittelten den 35-jährigen Hauptmann der zyprischen Nationalgarde, der anschließend die Morde gestand.

Nun wird befürchtet, es könnte noch mehr Opfer geben. Im Laufe der Ermittlungen und Enthüllungen meldete sich eine junge Ausländerin, die angab, von dem Hauptmann vergewaltigt worden zu sein. Er habe die Tat gefilmt. Auch in Griechenland ist man besorgt; der Karriereoffizier hatte beim dortigen Militär seine Ausbildung und verschiedene Seminare absolviert.

Diese Tatsache erschreckt die Menschen zusätzlich: Wie kann es sein, dass ein Serienmörder Karriere beim Militär macht? Dort, wo nicht zuletzt auch seine psychische Verfassung geprüft werden muss, wo er unter der Beobachtung von Vorgesetzten steht? Doch bei dem 35-Jährigen handelt es sich um einen erschreckend normalen Mann. Ein Video zeigt ihn als Hobbyfotografen, der bei einer Ausstellung ein Interview zum Thema Bildbearbeitung gibt, zu einem Zeitpunkt, als die ersten Morde bereits geschehen waren. Der Mann war verheiratet, Medienberichten zufolge soll er Vater zweier Kinder sein.

"Wir müssen unsere Haltung gegenüber Minderheiten ändern", fordert Koutroukidis. Der zyprische Justizminister ist angesichts des Ausmaßes des Falles und des Versagens der Polizei bereits zurückgetreten, der Polizeichef wurde gefeuert, Haushaltshilfen demonstrieren mit Plakaten, auf denen geschrieben steht: "Auch wir sind Menschen!". Die für Zypern beispiellose Mordserie ist noch längst nicht vollständig aufgeklärt. Und bewältigt noch lange nicht.