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Raumfahrt Ablösung für Baikonur

Nach mehrjähriger Bauzeit will Russland morgen erstmals eine Rakete vom neuen Weltraumbahnhof Wostotschny ins All schießen.

Von Uwe Seidenfaden 26.04.2016, 01:01

Wostochny l Anlässlich des 55. Jahrestags des ersten bemannten Flugs ins All plant Moskau, den ersten rein zivilen Weltraumbahnhof Russlands mit einem Raketenstart einzuweihen. Dabei soll eine unbemannte Sojus-2-Rakete das Weltraumteleskop Lomonossow ins All bringen, teilte die russische Raumfahrtagentur Roscosmos mit.

Über 5000 Arbeiter, Ingenieure und Wissenschaftler arbeiteten im Osten des Riesenlandes, 120 Kilometer nördlich der Stadt Blagoweschensk, am Bau des neuen Kosmodroms Wostochny. Nach dem Ende der Sowjetunion war der neue Startkomplex notwendig geworden, weil der Weltraumbahnhof Baikonur nun mitten in der unabhängigen Republik Kasachstan liegt.

60 Jahre nach der Gründung ist Baikonur für das heutige Russland, was Westberlin fast drei Jahrzehnte lang für Westdeutschland war: eine Enklave. Jährlich 115 Millionen US-Dollar Miete muss Moskau an den kasachischen Staat zahlen. Beim Start bemannter Raumschiffe hat Russland bislang keine Alternative. Das tausende Kilometer nördlich in der russischen Tundra gelegene Kosmodrom Plesetzk ist dafür ungeeignet.

Anfang des 21. Jahrhunderts war ein für den Start von Kosmonauten geeignetes Gelände auf russischem Territorium gefunden. Es liegt fast auf dem gleichen Breitengrad wie Baikonur und nicht weit vom Pazifik entfernt. 2010 wurde der Grundstein gelegt. Für 300 Milliarden Rubel (rund vier Mrd. Euro) soll der weltweit modernste, zivile Weltraumbahnhof entstehen.

Mit einer Fläche von rund 700 Quadratkilometern ist er fast zehnmal kleiner als Baikonur. Gearbeitet wird an zwei Startrampen: eine für Sojus-Raketen und eine für verschiedene Varianten der neuen Angara-Rakete. Darum herum gebaut wird eine Forschungsstadt für bis zu 30000 Einwohner. Infrastrukturell ist der neue Weltraumbahnhof mit einem modernen Flughafen, 115 Kilometer neu gebauter Straßen und einem Anschluss an die Transsibirische Eisenbahn bereits gut erschlossen.

Schatten fallen auf das Prestigeprojekt durch bekannt gewordene Korruptionsfälle. Staatsgelder flossen in private Taschen, während hunderte Bauarbeiter monatelang kein Gehalt erhielten. Mehrere Verantwortliche, darunter der Bauleiter Dmitri Sawin und die Chefs der Raumfahrtagentur Roscosmos, Wladimir Popowkin und Oleg Ostapenko, mussten ihren Hut nehmen. Mit Unterstützung von hunderten Studenten aus dem ganzen Land wurde jetzt der erste von zwei Startkomplexen fertiggestellt. Von dort aus soll morgen eine Sojus-2-Rakete zwei Satelliten, darunter eine Weltraumsternwarte, ins All bringen.

Nach den derzeitigen Plänen soll in drei Jahren erstmals eine Angara-Rakete vom zweiten Startkomplex in Wostochny starten. Sie soll zwischen 1,5 und 35 Tonnen in den niederen Erdorbit bringen können. Die Familie der Angara-Raketen wird die alten Proton-, die Kosmos- und die russisch-ukrainischen Zenit-Raketen ablösen. Mit der „Angara“ sollen nach 2020 auch Raumfahrer zur Raumstation fliegen.

Unklar ist derzeit, wann genau Russland Baikonur aufgeben wird. Das ehemalige Startgelände von der dreifachen Größe des Saarlandes könnte dann zum weltgrößten Raumfahrtmuseum unter freiem Himmel werden.