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Tod Oldenburger Künstler baut Bestattungsfahrrad

Ein Oldenburger Künstler hat ein Sargfahrrad gebaut. Er will so den Tod in den Alltag zurückbringen. Die Reaktionen sind kontrovers.

22.09.2020, 09:40

Oldenburg (dpa) l Wenn Michael Olsen mit seinem Rad durch Oldenburg fährt, ist ihm Aufmerksamkeit sicher. Die Menschen bleiben stehen, sehen ihm nach. Der Künstler hat auf der Ladefläche seines 3,80 Meter langen selbstgebauten Lastenrades einen Kiefernsarg liegen.

Ein Ehepaar hat gerade seine Räder aus dem Fahrradparkhaus am Hauptbahnhof geholt, als er vorbei fährt. "Ach, jetzt sehen wir das auch mal", sagt die Frau wohlwollend. Das Bestattungsfahrrad ist zum Stadtgespräch geworden, hat Kontroversen ausgelöst. Ein paar Minuten später wird Olsen von einem Mann angepöbelt: Was ihm einfalle? Olsen bleibt ruhig und erklärt: "Ich will die anerzogene Angst vor dem Tod in Mut umwandeln." Dann fährt er weiter.

Dreieinhalb Jahre Arbeit hat Olsen in das Spezialfahrrad gesteckt. Verbaut hat er Teile aus drei ehemaligen Zustellrädern der Post. Geholfen hat dem Künstler, Bühnenbildner, Kunsttechniker und Briefzusteller, dass er auch Zweiradmechaniker ist. Das Dreirad entspricht der Straßenverkehrsordnung und den Vorschriften der niedersächsischen Bestattungsverordnung.

"Die erste Idee zum Rad hatte ich vor 13 Jahren", sagt der 60-Jährige. Er hatte seiner Mutter versprochen, ihr für ihre Beerdigung einen Sarg zu bauen – und dazu passend ein Fahrrad. Mit dem wollte er ihren Leichnam zum Friedhof fahren. "Meine Mutter ist Zeit ihres Lebens mit dem Rad gefahren. Sie war sofort begeistert von der Idee." Geschafft hat er nur den Sargbau. "Sie ist doch zu schnell verstorben."

Der Gedanke an das Rad ließ ihn nicht mehr los. Mit dem Thema Tod setzt sich Olsen schon lange auseinander. "In unserer Familie sind wir immer offen mit dem Thema Sterben umgegangen", erzählt er. Sein Großvater war Präsident des Volksbundes Deutsche Kriegsgräberfürsorge, sein Vater Kirchenmusiker. "Sterben ist viel selbstverständlicher als das Leben." Olsen selbst sprang dem Tod bereits mehrfach von der Schippe: Er hatte Asthmaanfälle bis zur Bewusstlosigkeit, einen Hirninfarkt und vor einem halben Jahr einen schweren Unfall bei Baumfällarbeiten.

Mit dem Anblick des Rades wolle er die Menschen zum Innehalten und zur Auseinandersetzung mit der Endlichkeit bewegen. "Ich will das stark verdrängte Thema Sterben in den Alltag zurückbringen. Und wo haben wir mehr Alltag als im Straßenverkehr?" Bewusst habe er die Ladefläche nach vorn gesetzt. So zolle er dem Verstorbenen seinen Respekt. Denn künftig will er nicht mehr nur mit einem leeren Sarg durch Oldenburg fahren, sondern tatsächlich Verstorbene zum Friedhof transportieren. "Es geht mir dabei nicht ums Geld verdienen", sagt er. "Ich gehe nächstes Jahr sowieso in Rente."

Die Oldenburger Bestatterin Ellen Matzdorf möchte ihren Kunden das Bestattungsfahrrad als Service künftig mitanbieten. "Wenn ein Verstorbener Radfahrer war, ist es ganz wunderbar, ihm die Möglichkeit zu geben, den letzten Weg mit dem Rad zurückzulegen." Wenn Passanten sonst Leichenwagen mit ihren geschlossenen Gardinen sähen, könnten sie sich vormachen, dass das Auto leer sei.

Beim Bestattungsfahrrad aber sei der Sarg zu sehen. "Wir dürfen den Tod nicht verstecken, sonst ist er nicht begreifbar", sagt Matzdorf. Die meisten Reaktionen seien positiv. "Das hat mir gezeigt, dass die Oldenburger darauf gewartet haben." Schließlich sei Oldenburg eine Fahrradstadt.

Im Internet reichen die Meinungen von "Super cool und sehr innovativ" über "Ich weiß nicht was ich davon halten soll" bis "Furchtbar sowas...geht gar nicht". Michael Olsen freut sich über das viele Lob und kann mit den negativen Kommentaren leben. "Mir war klar, dass Menschen das Fahrrad auch als Provokation auffassen."

Auch der Kulturbeauftragte der Stiftung Deutsche Bestattungskultur, Simon J. Walter, wundert sich nicht über die unterschiedlichen Reaktionen. "Der Anblick eines Sarges im Straßenverkehr ist für Passanten, Autofahrer und sonstige Verkehrsteilnehmer völlig unerwartet", sagt er. Die Gesellschaft tue sich noch immer schwer mit dem öffentlichen Dialog über den Tod. "Wenn auf die Irritation jedoch ein Nachdenken folgt, ist das unserer Meinung nach zu begrüßen."

Das scheint zu funktionieren: In den sozialen Medien schreibt eine Nutzerin: "Es ist sehr würdevoll, wenn Familie und Freunde auf einem letzten 'Trauermarsch' Abschied nehmen können – anstelle von Autokorsos, die panisch am Friedhof einen Parkplatz suchen, damit sie es noch schaffen, bei der Beisetzung tatsächlich dabei zu sein."