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f-glass Der Kampf für Bezahlung nach Tarif

Die Mitarbeiter des Glas-Werks in Osterweddingen fordern Bezahlung nach Tarif. Auf den geplanten Protest könnten Warnstreiks folgen.

Von Massimo Rogacki 04.04.2019, 01:01

Osterweddingen l Transparente, Trommeln und T-Shirts liegen schon bereit. Bei f-glass in Osterweddingen verschärft sich der Tarifkonflikt. Die Beschäftigten des Flachglas-Herstellers wollen am Donnerstag vor dem Firmengelände ihre Forderung nach vollinhaltlicher Anwendung der Flächentarifverträge Glas Ost mit einem Protest untermauern. Unter anderem acht Prozent mehr Brutto-Entgelt und ein Plus von 10,5 Prozent bei einer Zulage für Schichtarbeiter könnte am Ende herausspringen.

Mitte März war eine zweite Tarifrunde ergebnislos abgebrochen worden. Die Geschäftsführung von f-glass bietet auf Grundlage eines Haustarifvertrags „attraktive Lohnsteigerungen“ an. Man sei jederzeit verhandlungsbereit, sagt Geschäftsführer Thomas Belgardt. Den von der Tarifkommission geforderten Flächentarif lehnt f-glass bislang ab.

Für den Betriebsratsvorsitzenden Gero Spohn ist das Ende der Fahnenstange erreicht: „Wir haben zehn Jahre keinen Tarif gehabt – das wollen und müssen wir jetzt ändern“, so Spohn.

Ein Großteil der 220 Mitarbeiter des Werkes in Osterweddingen fordere die tarifgemäße arbeitgeberfinanzierte Altersvorsorge, eine Durchfahrzulage im Schichtbetrieb, mehr Urlaubstage und eine Jahresleistung. Außerdem müsse die Eingruppierung schleunigst transparenter werden. Die Eigentümerin, das multinationale Unternehmen AGC/Interpane, erwirtschafte jährlich hohe Millionenbeträge, so Spohn. Es könne nicht sein, dass die Gewinne auf dem Rücken der Mitarbeiter eingefahren werden, findet der Betriebsratschef. Unterstützung bekommen die Beschäftigten von der Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie (IG BCE). Für den Gewerkschaftssekretär des Bezirks Halle-Magdeburg, Jan Melzer, sind die Angebote der f-glass-Geschäftsführung, einige Punkte des Tarifvertrages zu erfüllen, nicht weitreichend genug: „Es gab Angebote, etwa das Urlaubsgeld an die tarifliche Regelung anzupassen, beim Weihnachtsgeld und anderen Forderungen bewegen wir uns allerdings noch immer unter dem Tarif“, so Melzer. Die Geschäftsführung von f-glass verweist auf „zeitgemäße Ansätze“ bei der Vergütung und bei Arbeitszeitmodellen. So würden Mitarbeitern im Schichtsystem seit Jahren die Arbeitspausen vergütet, was die effektive Arbeitszeit auf 35,5 Stunden pro Woche senke. Solidarität mit den Forderungen der Mitarbeiter bekunden unterdessen die Linken. Die Muttergesellschaft von f-glass mache einen Umsatz von 300 Millionen Euro und erwirtschafte einen Gewinn von fast 90 Millionen Euro. „Es gibt keinen Grund, die berechtigten Forderungen der Beschäftigten nicht zu erfüllen“, heißt es in einer Pressemitteilung des Landesverbands.

Solange kein einheitlicher Flächentarifvertrag gelte, würden zudem tariftreue Unternehmen unfairer Konkurrenz ausgesetzt. „Wettbewerb über Löhne darf auf keinen Fall stattfinden“, sagt Andreas Höppner von der Linksfraktion im Landtag.

Die SPD-Landtagsfraktion begrüßt den Tarif-Kampf der Beschäftigten ebenfalls und spricht sich für gute Gehälter anstelle von Dumping-Löhnen aus. Sich Flächentarifverträgen zu verweigern, sei nicht mehr zeitgemäß, heißt es von der Fraktion.

Betriebsratschef Spohn sieht, dass die Unruhe in der Belegschaft spätestens nach den zwei gescheiterten Tarifverhandlungen wächst. „Die Verunsicherung ist da“, sagt er. Das gelte auf der anderen Seite auch für jene Mitarbeiter, die individuelle Bezüge ausgehandelt hätten.

Sorgen macht sich Spohn um die Zukunft der Firma. Die Beschäftigten bräuchten Perspektiven. Andernfalls suchten sie sich einen Arbeitgeber, der nach Tarif zahlt. „Und wir verlieren hochspezialisierte und gute Mitarbeiter“. Auf einen möglichen Warnstreik hat sich der Betriebsrat bereits eingestellt, sollte die nächste Verhandlungsrunde heute in einer Woche keinen Erfolg bringen. „Wir sehen uns als Leuchtturmprojekt. Wir wollen eine Entwicklung anstoßen“, sagt Spohn. Die Transparente und Trommeln sollen dabei nur der Anfang sein.