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TV-Star Rolf Becker wird 85: Sehnsucht nach einer besseren Welt

Ob als Rentner Otto Stein in der ARD-Serie "In aller Freundschaft" oder als Staatsanwalt im Kinoklassiker "Die verlorene Ehre der Katharina Blum". Schauspieler Rolf Becker ist ein Publikumsliebling. Und ein unermüdlicher politischer Aktivist. Nun wird er 85.

Von Ulrike Cordes, dpa 30.03.2020, 06:33
Markus Scholz
Markus Scholz dpa

Hamburg (dpa) - "Die Schönheit erweckt im Menschen die Sehnsucht nach der Erlösung der Welt. Vor allem die Künste vermögen Vorstellungen hervorzurufen, wie die Welt sein könnte", sagt der Schauspieler Rolf Becker, den Millionen aus "Derrick" oder "In aller Freundschaft" kennen. "Deshalb weinen wir, wenn wir eine gut gespielte Sonate von Schubert hören."

Solche Worte von einem TV-Star zu vernehmen, der auch durch langjährigen Einsatz für linke Politik bekannt ist, mag erstaunen. Denn ist die Idee klassischer Schönheit in seinen Kreisen nicht längst als reaktionär verpönt? "Das liegt daran, dass wir 68er nicht in der Lage waren, den Begriff auf das zurückzuführen, was er wirklich beinhaltet." Der 68er Rolf Becker wird am 31. März 85.

In seinem Hamburger Stammbistro führt er den Gedanken zu Ende: "Von der Schönheit geht ein Impuls aus, mit den Klischees zu brechen, mit denen wir aufwachsen. Von daher ist die Kunst für mich immer wichtig geblieben - auch wenn ich mich inzwischen lieber direkt engagiere, als mit Hilfe des Theaters die Welt zu verändern. Denn die kulturellen Institutionen haben in meinen Augen einiges von ihrem Mut verloren, den sie in den 60ern und 70ern bewiesen." So besuchte Becker 2019 ein Flüchtlingslager in Griechenland und setzt sich dafür ein, den Menschen in ihrer Heimat zu helfen.

In Leipzig geboren, lebt Becker seit fast 50 Jahren in Hamburg. Eben ist er aus Berlin zurückgekehrt, wo er für einen "Tatort" mit seiner Tochter Meret (51, Ermittlerin Nina Rubin) vor der Kamera gestanden hat. Zugewandt und unprätentiös wirkt der hagere Star mit strahlend blauen Augen, dabei dynamisch und nachdenklich.

Doch er erklärt im Interview der Nachrichtenagentur dpa: "Ich bin in der Zielgeraden, da darf man sich nichts vormachen. Man stellt sich darauf ein und fragt sich: Was hast du noch vor? Ist das noch machbar?" Eine Bilanz seines bisherigen Lebens mag der Schauspieler, der aus erster Ehe auch noch Vater von Schauspielgröße Ben (55, "Werk ohne Autor") ist, nicht ziehen. "Es ist, wie es ist", zitiert er gelassen den Lyriker Erich Fried.

Zum prägenden Erlebnis gerieten für Becker die Kriegsjahre. Im Dorf Osterstedt in Holstein, bei seinen Großeltern, sah der kleine Rolf nachts in 60 Kilometer Entfernung Hamburg brennen. Tagsüber war der Himmel so schwarz, dass die Sonne kaum durchkam. Sein Vater, ein überzeugter hoher Militär, fiel 1943 in Russland. Zuvor hatte der sich mit seinem Schwiegervater, einem Anhänger der Bremer Räterepublik, heiße politische Diskussionen geliefert, deren Ohrenzeuge der Junge wurde. Nach 1945 besuchte Becker das konservative Alte Gymnasium im zerbombten Bremen. Und musste, wie viele, Kohlen und Gemüse von Bahnwaggons stehlen, um zu überleben.

Orientierung fand er dann in den Künsten. "Ich bin dauernd in Konzerte gegangen, sah 1947 'Die Räuber' in der Concordia, einem Behelfstheater in Bremen", erinnert sich der Schauspieler. "Denn in der Kunst wurde auf eine Weise reflektiert, was sich abspielte, wie sie sonst kaum irgendwo stattfand." Mit seinem späteren Kollegen Gerd Baltus (1932-2019) machte er Schülertheater, bekam durch ihn Kontakt zum Bremer Theater. Las dabei Autoren wie Kafka und Camus.

An der Münchner Otto-Falckenberg-Schule ließ sich Becker zum Schauspieler ausbilden. Er wurde in Darmstadt, Ulm sowie sechs Jahre in Bremen beim Intendanten Kurt Hübner engagiert. Der entließ den durch die Studentenbewegung politisierten Schauspieler jedoch fristlos, als der die Macht der Regisseure brechen wollte. Nach Hamburg holte Becker dann 1971 der Schauspielhaus-Chef Ivan Nagel.

Sehr bedeutsam waren für ihn damals auch TV-Arbeiten: "Die beste Zeit des deutschen Fernsehens waren die Jahre von Mitte der 60er bis etwa 1973. Die politischen Auseinandersetzungen wurden verhandelt, in Filmen wie 'Bratkartoffeln inbegriffen' nach Arnold Wesker und durch Regisseure wie Fritz Umgelter."

Mittlerweile macht Becker - seit 30 Jahren in zweiter Ehe verheiratet mit seiner Kollegin Sylvia Wempner, Vater dreier weiterer Kinder und Großvater von drei Enkeln - durchaus gern TV-"Zugeständnisse", wie er es nennt. Dreht Pilcher- und Lindström-Filme, immer wieder auch Krimi-Folgen. Und natürlich, bereits seit 2006, als Rentner Otto Stein die ARD-Serie "In aller Freundschaft". Da gefällt ihm besonders "das wunderbare Ensemble. Ich fahre mit Begeisterung zur Arbeit."

Im Mai will er in Hamburgs Hauptkirche St. Michaelis "Die Offenbarung des Johannes" aus der Bibel lesen. Doch auch mit dem "Kommunistischen Manifest" tritt er auf. Darin sieht er keinen Widerspruch. "Es geht in beiden Fällen um eine menschlichere Welt."