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TV-Tipp LOMO – The Language of Many Others

Was passiert, wenn man sein Schicksal anderen Menschen im Internet überlässt? "LOMO - The Language of Many Others" lässt viele Stimmen aus dem Netz zu Wort kommen. Im echten Leben wird eher geschwiegen.

Von Christof Bock, dpa 24.08.2020, 23:01

Berlin (dpa) - Kritiker haben den Berliner Jonas Dassler kürzlich zu einem der zehn wichtigsten Shooting-Stars Europas gewählt. In der Rolle des gestörten Serienmörders Fritz Honka erschreckte der 24-Jährige im Kinofilm "Der Goldene Handschuh" ein großes Publikum.

So brutal ist "LOMO – The Language of Many Others" zum Glück nicht: Dasslers Debüt in einer Hauptrolle ist jetzt erstmals im Free-TV zu sehen. Am Dienstag - leider erst um 22.45 Uhr - läuft das doppelbödige Coming-of-Age-Drama um einen Abiturienten mit gruseliger Fangemeinde im Ersten. Der Film wurde 2017 mit Preisen überhäuft.

Der 17-jährige Karl hat alles, was einen Menschen glücklich machen könnte: eine intakte Familie, eine nette Zwillingsschwester, einen besten Freund, eine bildhübsche Mitschülerin, die mit ihm flirtet.

Doch Karl lebt in seiner Vorzeigefamilie in einem Berliner Villenviertel wie in einer Kulisse. Er spricht kaum, er arbeitet in der Schule nicht mit, er strapaziert die Nerven seines Umfelds.

Und dann gibt es da noch den anderen Karl, der ein anonymes Tagebuch im Internet betreibt. In diesem Blog verbreitet er als "Lomo" finstere Lebensweisheiten. Etwa: Jeder halte sich für was Besonderes und sei doch nur ein winziges Teilchen im Darm eines Hundes. Seine Fans lieben sowas. Sie wollen immer mehr davon, vermissen ihn, sobald er nichts postet. Sie fordern Neuigkeiten und kommentieren fleißig.

Als bei Karl die erste Liebe zerbricht, veröffentlicht er in seinem Blog aus Rache ein Sexvideo mit seiner Mitschülerin Doro (Lucie Hollmann). Es beginnt ein katastrophaler Strudel, aus dem schließlich kaum ein Ausweg mehr möglich erscheint. Denn die Mutter von Doro ist Politikerin und entscheidet über einen Auftrag, von dem die wirtschaftliche Zukunft von Karls Vater (Peter Jordan) abhängt.

Schließlich droht seine Familie über den Ereignissen zu zerbrechen. Karls Fans im Netz übernehmen für ihn Entscheidungen, wollen ihn schützen und schrecken auch vor skrupellosen Mitteln nicht zurück. Aber wollen sie ihm wirklich helfen? Oder ist Karl eine Spielfigur für Gamer? Virtuelles und echtes Leben vermischen sich immer mehr. Am Ende übergibt Karl seinen Followern die Macht über Leben und Tod.

Wer bin ich? Was will ich? Diese typischen Fragen von Heranwachsenden stehen vordergründig im Mittelpunkt von "LOMO". Doch hier geht es um mehr. Ähnlich wie das Missbrauchsdrama "Das weiße Kaninchen" (2016) von Florian Schwarz rückt der Film von Julia Langhof den Internetchat ins Herz der Handlung. Auf erschreckende Weise lässt sich hier nachvollziehen, was die Echokammern des Internets im Kopf eines jungen Menschen anrichten. Diese Abgründigkeit und die herausragende Darstellerriege - allen voran Dassler als stets abwesend wirkender Teenie - machen den Film absolut sehenswert. Leider ist er den Programmplanern offenbar zu experimental geraten für die Primetime.

© dpa-infocom, dpa:200821-99-252110/3

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