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Preisgekrönt "Cronofobia": Poetische Bilder über Einsamkeit

Große schauspielerische Leistungen, bildmächtige Kamera-Einstellungen und eine beklemmende Geschichte kommen in diesem Psychodrama zusammen. Vor dem Kinostart hat "Cronofobia" bereits Preise abgeräumt.

Von Lisa Forster, dpa 17.02.2020, 08:53

Berlin (dpa) - Vergangenes Jahr wurde "Cronofobia" beim Filmfestival Max Ophüls Preis für die beste Regie und das beste Drehbuch ausgezeichnet, und es ist nachvollziehbar, warum. Ein Stück Bildkunst ist dieser Film, der die Emotionswelt seiner Figuren erkundet, ohne viel erzählen zu müssen.

"Die elegante Inszenierung der Auslassungen" hat die Jury des Max Ophüls Preis das genannt. Francesco Rizzi verlässt sich in seinem Regiedebüt auf die Sinnlichkeit der Orte und auf Protagonisten, die kaum etwas aussprechen müssen, um zu zeigen, wie es ihnen geht.

"Cronofobia" erzählt von Michael Suter (Vinicio Marchioni), einem einsamen Mann, der in einem Transporter lebt. Sein Job ist es, inkognito den Kundenservice von Geschäften zu überprüfen. Immer wieder kehrt er zurück zum Haus von Anna (Sabine Timoteo), die er zunächst heimlich beobachtet. Zwischen den beiden entwickelt sich im Laufe des Films eine eigentümliche Intimität. Erst nach einiger Zeit bemerken die Zuschauer, dass Suter sich Anna nicht zufällig ausgesucht hat. Ihre Vergangenheit ist miteinander verstrickt - was Anna allerdings lange nicht weiß.

"Cronofobia" ist ein Film über Einsamkeit. Anna trauert um ihren gestorbenen Partner und hat keinerlei soziale Kontakte. Suter ist ein rastloser Mann, der für seine Arbeit immer neue Identitäten annimmt: Er spielt verschiedene Kunden und verkleidet sich dementsprechend.

Was ihn persönlich ausmacht, bleibt völlig offen. "Es ist irgendwie zu persönlich, ich würde mich beobachtet fühlen", sagt er einmal über eine laute Kneipe, in die Anna ihn mitgeschleppt hat.

Suter hat kein richtiges Zuhause und das spiegelt sich in den Nicht-Orten, die der Film in großen Bildern inszeniert: Er hält sich in Tankstellen, Hotelzimmern oder Einkaufsläden auf. Er steht auf Rolltreppen, tritt durch automatische Glastüren oder weiß geflieste Lagerhallen, die mit ihren geometrischen Linien wie Käfige wirken. Neonlichter scheinen auf sein Gesicht.

Annas Zuhause wiederum ist ein gespenstisches Puppentheater voller Requisiten ihres toten Partners. Der Tisch ist für zwei gedeckt, die letzte Zigarettenpackung ihres Mannes liegt unberührt da.

All diese poetischen Bilder führen dazu, dass man als Zuschauer in die Geschichte hineingezogen wird. Die beiden Hauptdarsteller tun ihr Übriges. Es gibt nur spärliche Dialoge in diesem Film, Timoteo und Marchioni schaffen es dennoch, die Emotionswelt ihrer Rollen bis ins Detail zu ergründen.

"Die Chronophobie ist die Angst vor dem Vergehen der Zeit", erklärte Regisseur Rizzi in einem von der Filmagentur veröffentlichten Statement. "Das Wort bezeichnet das Gefühl, dass die Ereignisse zu schnell an einem vorüberziehen."

Chronophobie könne durch ein traumatisches Erlebnis ausgelöst werden und betreffe etwa Menschen, die durch eine Krankheit lange ans Bett gefesselt waren oder lange Zeit im Gefängnis verbrachten. "Die Protagonisten von Cronofobia sind auf ihre Weise Gefangene, sie leben isoliert und der Zeit entfallen, in den mentalen und realen "Käfigen", die sie selber um sich errichtet haben." Für die Zuschauer ist es so beklemmend wie fesselnd, ihnen dabei zuzusehen.

- Cronofobia, Schweiz 2018, 93 Min., FSK o.A., von Francesco Rizzi, mit Vinicio Marchioni, Sabine Timoteo, Leonardo Nigro