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Al Pacino wird 80 Der Pate der Schauspieler

Er hatte die Gabe, glänzenden Kitsch wie den „Duft der Frauen“ noch erträglich zu machen. Jetzt wird "Pate" Al Pacino 80.

Von Uwe Kreißig 24.04.2020, 01:01

Über drei Jahrzehnte war er der beste Mann für die Titelrolle im qualitativ gehobenen Blockbuster, ein Geschäftsmodell, dessen weltweiter Erfolg den Ruf Hollywoods bis heute begründet. In diesem Segment konnte er seine Möglichkeiten ausspielen: Man denke an die Romanverfilmung „Im Auftrag des Teufels“, wo er als Luzifer alles herausholte, was darstellerisch überhaupt möglich ist. „Wenn man manche Menschen unter Druck setzt, arbeiten sie besser. Andere versagen“, äußerte er spöttisch als vorgeblicher Rechtsanwalt John Milton, der jeden Fall gewinnt, in diesem Kassenerfolg. Niemand hätte das besser darstellen können als er. Morgen wird Schauspieler Al Pacino 80 Jahre alt.

Sein Vater, der aus der einstigen Mafiahochburg Corleone auf Sizilien stammte und in die USA auswanderte, verließ die Familie früh. Sein Sohn Alfredo James Pacino, ein echter New Yorker, arbeitete sich langsam nach oben. Mit der Ausbildung am New Yorker Schauspielerstudio von Lee Strasberg, der einen europäischen Kulturhintergrund hatte, fand er 1966 schließlich seinen Stil – wie auch der nur drei Jahre jüngere Robert de Niro. Beider Karrieren, die in einer Freundschaft mündeten, nahmen künstlerisch viele Parallelen.

Bei Strasberg wurden auch die Grundlagen der Schauspieltheorie gelehrt. Wer gut war, verstand die Intentionen des „method acting“, die letztlich bis ins Ancien Régime zurückreichten, als Denis Diderot in seiner Theatertheorie „Das Paradoxon des Schauspielers“ (1777) zwischen dem „Schauspieler“ und dem „Comédien“ unterschied. Der Schauspieler drückt nach Diderot der Rolle den Stempel seiner Persönlichkeit auf, so hielt es Pacino. Zu viele Gefühle in der Rolle wiederum lassen jeden Schauspieler verblassen.

Auch den Grundsätzen von Karl Kraus hielt er spielend stand: Mit einer „passiv-aggressiven positiven Grundeinstellung, mit der Schauspieler ihr Gleichgewicht bewahren sowie ihr Verlangen nach Kontrolle und Verführung stillen müssen“, ist Pacinos Kunst um Jahrzehnte vorbeschrieben.

Und um in der Gegenwart zu bleiben: Auch den Erfordernissen nach Bret Easton Ellis entsprechen Pacinos Kunstfertigkeiten. „Denn schließlich ist es genau das, was von Schauspielern erwartet wird: andere dazu zu bringen, sie zu mögen. Das ist es, was ihr Beruf verlangt: Ich will dich zwingen, mich zu begehren.“ Er zwang uns sehr oft dazu.

Seinen Durchbruch hat Pacino 1972 im überschätzten ersten Teil des „Paten“ von Francis Ford Coppala, der damit auf barocke wie brutale Form die amerikanisch-sizilianische Mafia gesellschaftsfähig macht. Aber mit diesem Erfolg wird er – parallel zum Regisseur – zum kommenden „Typen“ in der Traumfabrik. Mit „Serpico“ (1973), der auch in DDR-Kinos bis in die Anfänge der Achtziger hinein in Schleife läuft, sowie dem zweiten Teil des „Paten“ (1974) im Jahr darauf reift Pacino zur Hollywood-Größe.

Nun ist Pacino selbst der Clanchef Corleone und agiert sogleich charismatischer als Marlon Brando. Fortan kann er sich die Rollen aussuchen; selbst jene, die aus heutiger Sicht nicht unbedingt politisch korrekt erscheinen, schaden ihm nicht. So gibt er fiebrig in „Scarface“ (1982) den getriebenen kubanischen Gangster Tony Montana. Im Film spiegelt Regisseur Brian de Palma reale Ereignisse, als Fidel Castro 1980 in der „Mariel-Bootskrise“ unter 100 000 Flüchtlingen und Migranten auch Tausende Kriminelle in die USA schickte, von denen ein Teil Verbrecherbanden mit dem Zentrum in Miami aufbaute.

1995 kommt es zum totalen Treffen der Könige: Im Superactionkrimi „Heat“ von Michael Mann schenken sich Robert de Niro als angegrauter, eiskalter Berufsgangster und Al Pacino als pflichtbewusster wie verschlissener Polizist nichts, und es bleibt im Abspann offen, wer von den Künstlerzwillingen stärker ist. Überhaupt ist Pacino zu diesem Zeitpunkt längst zu einem Allrounder gereift, der alles kann, was man im Schauspiel benötigt, um jede Rolle glaubwürdig zu machen.

Filmische Höhepunkte „City Hall“, wo die politische Korruption in der amerikanischen Gesellschaft vorgeführt wird, oder „Insider“, in dem die einstigen Praktiken der Zigarettenindustrie in subtiler Spannung offengelegt werden, beweisen das. Mit „Insomnia“ (2002), einem Alaska-Thriller der Oberklasse, zieht er noch einmal alle Register.

Im Fernsehen, damals höchstens die zweite Wahl für Hollywood-Stars, war er zeitig mit einer Großtat präsent: mit „Angels in America“ (2003), der subtilen Geschichte um den (heimlich) schwulen Anwalt Roy Cohn, der zunächst für den Kommunistenverfolger McCarthy arbeitet, dann auch den jungen Donald Trump berät und parallel die Mafiagrößen New Yorks vor Gericht verteidigt, schließlich an Aids erkrankt und an den Folgen stirbt. In der Serie, für die der Exildeutsche Mike Nichols Regie führte, reflektierte Pacino als Roy Cohn Amerikas verdrängte Gesellschaftslügen in den Jahren unter Reagan.

Al Pacino zeigte Beständigkeit, so dass er nie einer der austauschbaren Darsteller wurde, die Hollywood jedes Jahr hervorbringt. Allerdings verfiel er auch nicht der Versuchung, sich als Schauspieler zu wichtig zu nehmen. Und dem Publikum machte er es in der Regel leicht: Es genügte, ihm zuzusehen. Selbst Aristoteles’ Kriterien aus der „Poetik“ überformte er kurzerhand: „Nur das übertreibende Spiel unzureichender Schauspieler wird von der Kritik abgelehnt werden.“ Übertreibend („overacting“) spielte er zwar ziemlich oft, aber dies so gut, dass es Kritik und Publikum gleichermaßen mit Freude und Genuss akzeptierten.

Präsent ist er bis heute, und dabei weniger im Boulevard. Durch seinen Verzicht auf Eheschließungen blieben ihm auch peinliche Scheidungsschlachten à la Brad Pitt/Angelina Jolie erspart. Er hat eine Tochter mit Jan Tarrant sowie Zwillinge mit der Schauspielerin Beverly D’Angelo.

Pacino konnte jung oder alt sein, um dann all das zu verkörpern, was man in einer Rolle sehen will, das Unerwartete, das Erhoffte, ganz nach Belieben. Bei allen künstlerischen Ambitionen blieb er dennoch ein Stück weit der italienisch-amerikanische Lebemann. Pacino machte aus diesem „easy going“, anders als die vielen Heuchler in seiner Branche, keinen Hehl: „Jeder kennt das großartige Gefühl zwischen dem zweiten und dritten Martini. Das wollte ich haben – immer.“