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Filmemacher, Schriftsteller Alexander Kluge: Die Macht von Geschichten

Zwischen Fake News und alternativen Fakten hat es die Wahrheit schwer. Wie kann man seine Argumente verpacken, damit sich die Menschen wieder gegenseitig zuhören? Der Autor Alexander Kluge hat eine Idee - und warnt vor dem Charisma der betrunkenen Elefanten.

Von Cordula Dieckmann, dpa 11.02.2017, 08:46
Alexander Kluge feiert am 14. Februar seinen 85. Geburtstag. Foto: Britta Pedersen
Alexander Kluge feiert am 14. Februar seinen 85. Geburtstag. Foto: Britta Pedersen dpa-Zentralbild

München/Berlin (dpa) - Die Welt ist in Aufruhr: In den USA sorgt Donald Trump als Präsident für heftige Debatten, die Menschen in Syrien leiden unter dem Krieg, und in Europa drängen die Rechtspopulisten an die Macht. Das Besorgniserregende: Jeder fühlt sich im Recht und schiebt den anderen die Schuld zu.

Wie soll man es da schaffen, dass sich alle wieder zuhören? Erzählungen könnten eine wichtige Rolle spielen, glaubt der Filmemacher und Schriftsteller Alexander Kluge. Denn wenn Tatsachen den Umweg über die Kunst nehmen, könnten sie "bis zum Herz vordringen", sagte Kluge der Deutschen Presse-Agentur in München anlässlich seines 85. Geburtstags am Dienstag (14. Februar).

"Wir brauchen alles, was wir an Geschichten wissen, um das einreihen und vor allem Ausgänge finden zu können", ist Kluge überzeugt. Erzählen ist für den Schriftsteller "Information plus Gefühl", ein Verbinden von Fakten, die sonst nicht zueinander fänden. "Andernfalls haben sie die postfaktische Welt, in der gelogen wird und Menschen hinter Rattenfängern hermarschieren."

Menschen neigen dazu, Tatsachen, denen sie machtlos gegenüber stehen, zu leugnen. "Wer will schon verletzende Nachrichten dauerhaft zu sich nehmen, man würde ja auch kein Gift essen." Geschichten schafften hier einen Umweg und damit einen Ausweg. "Obwohl es mich ärgert, obwohl es mich verletzt, obwohl ich die Wirklichkeit am liebsten abwählen würde, kann ich sie, sobald erzählt wird, wahrnehmen."

Allerdings eigne sich nicht alles dafür. "Jede Erzählung, die Hoffnungslosigkeit verbreitet, vertieft die Ängste, und Angst ist ein schlechter Ratgeber, das steht schon in Grimms Märchen." Sein Beispiel: "Hänsel und Gretel". Die Kinder ziehen in den Wald und streuen Brotkrumen, damit sie den Weg nach Hause wiederfinden. Doch die Vögel picken die Krümel auf. "Deswegen verzweifeln diese Kinder aber nicht, sie suchen nach einem Ausweg und kommen am Ende wieder nach Hause." Ein weiteres Beispiel sei die biblische Erzählung von David und Goliath: Ein kleiner Mann lehnt sich gegen einen übermächtigen Riesen auf und besiegt ihn als Fernkämpfer.

Kluge, 1932 in Halberstadt geboren, ist ein hervorragender Erzähler, der genau beobachtet. Er studierte Geschichte, Kirchenmusik und Jura. 1958 wurde er Volontär bei dem berühmten Regisseur Fritz Lang ("Metropolis") und fing bald an, selber Regie zu führen. 1962 war er einer der Filmemacher, die mit dem "Oberhausener Manifest" ein Kino der Autoren forderten. Er inszenierte Filme wie "Abschied von gestern", "Die Artisten in der Zirkuskuppel: ratlos" und "In Gefahr und größter Not bringt der Mittelweg den Tod".

Nach 1988 arbeitete Kluge in der Lizenz der Produktionsfirma dctp in Düsseldorf an Fensterprogrammen für private Fernsehsender wie Sat.1 oder RTL. Das Magazin "Spiegel TV" stammt aus seinem Haus, ebenso Beiträge zu Kultur- und Wissenschaftsthemen. Für seine Bücher und Filme erhielt er viele Preise, etwa den Adolf-Grimme-Preis, den Georg-Büchner-Preis und unlängst den Ehrenpreis als Journalist des Jahres 2016.

In seinen Büchern ist der in München lebende Schriftsteller ein Chronist, der persönliche Erinnerungen mit historischen und aktuellen Ereignissen zu eindringlichen Geschichten verwebt. Nicht ohne Grund nannte er sein im Jahr 2000 erschienenes Werk "Chronik der Gefühle", zu dem er im November 2015 eine Art Fortsetzung veröffentlichte, "Kongs große Stunde - Chronik des Zusammenhangs".

Auch zu Trump macht sich der Intellektuelle seine Gedanken. In erster Linie beschäftigt ihn die Frage, warum der Milliardär überhaupt gewählt wurde, etwa von den Menschen im sogenannten ehemaligen "Rostgürtel" der USA, wo leere Fabriken vor sich hin modern. "Die leben in einer verwüsteten Industrieöde. Sie sind desillusioniert", sagt Kluge. Dass diese Leute sich für Trump entschieden, erklärt er im Sinne des Soziologen Max Weber mit dem Charisma des betrunkenen Elefanten.

Das Charisma eines Porzellanzertrümmerers im Weißen Haus fasziniere Leute, die trotz ihrer Frustration diszipliniert bleiben müssten. "Ich wähle mir einen Stellvertreter, der meine Ohnmacht in Macht verwandelt, das ist der Trump-Effekt und das ist eine Form von politischem Doping." Ein US-Präsident, der mit der Spontaneität eines Sechsjährigen auftrete. "Das ist hochgefährlich", findet Kluge. "Die Maschinerie des Weißen Hauses und einer Großmacht, das ist wie der Kontrollraum eines Kernkraftwerkes, da sollte man nicht Kinder Eisenbahner spielen lassen."

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