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Ausstellung Eine Widmung an Max Klinger

Der Künstler Max Klinger ist vor 100 Jahren gestorben. Sein Todestag war nun Anlass für ein außergewöhnliches Ausstellungsprojekt.

22.09.2020, 23:01

Naumburg l In der Krypta in der Tiefe des Naumburger Domes ist eine pink, gelb, grün, blaue Skulptur aufgebahrt. Was für eine Farbintensität in diesem schlichten Raum. Mariechen Danz legt ihre Hände auf den lebensgroßen, thermodynamischen Körper. „Hier ist es warm“, sagt die deutsch-irische Künstlerin. Temperatur wie bei einem Lebenden. Doch dieser Körper ist leblos, eine interaktive Skulptur. Herz, Lungenflügel und Darm heben sich ab vom geschlechtslosen Körper. Er ist mitten im Werden, sagt die Künstlerin. „Womb Tomb“, so der Titel dieses Werkes, vereint den Anfang und das Ende des menschlichen Lebens.

Danz hat auch medizinische Lehrmodelle für ihre Kunst abgezogen. Im abgedunkelten Domschatzgewölbe sind Lungenflügel, Leber, Herz und Zunge aus Polyurethanharz mit Halbedelsteinen zu sehen. Sie erzählt, dass sie sich hat inspirieren lassen – nicht nur vom abgeschlagenen Haupt von Johannes dem Täufer in Sichtweite –, sondern von Max Klingers Ölbild „Die blaue Stunde“ mit drei nackten Frauenfiguren. Es gehört zur Sammlung des Museums für bildende Künste Leipzig und zeigt Klingers unverfangenen Blick auf den menschlichen Körper.

Mariechen Danz, 1980 in Dublin geboren und heute in Berlin lebend, war bereits auf etlichen Ausstellungen vertreten, auch auf Biennalen wie zuletzt 2017 mit einer großen Rauminstallation in Venedig. Dass sie sich jetzt gezielt mit Max Klinger auseinandergesetzt hat, ist einem achtmonatigen Stipendium zu verdanken.

Die Kunststiftung Sachsen-Anhalt hatte in Kooperation mit der Villa Romana in Florenz vier Künstler sehr unterschiedlicher Herkunft und Arbeitsausrichtung geladen, die sich anlässlich des 100. Todestages von Max Klinger von dessen Werk haben inspirieren lassen. Das Ergebnis ist die Ausstellung „Druck und Hingabe. Eine Widmung an Max Klinger“. Der Hauptpart ist im Dom zu sehen.

Villa-Romana-Leiterin Angelika Stepken nennt sowohl das Projekt als auch den Ausstellungsort außergewöhnlich. Stepken, auch Kuratorin, habe nicht wie oft üblich auf fertige Arbeiten zurückgegriffen, sondern den Entstehungsprozess der Werke begleitet. Die Objekte waren erst vor wenigen Wochen fertig geworden.

Auch Kunststiftungsdirektorin Manon Bursian spricht von einem besonderen Projekt, weil sich damit ein Kreis so wunderbar geschlossen habe. Max Klinger hatte das Künstlerhaus in Florenz 1905 für den gegründeten Villa-Romana-Verein erworben. Das Ziel: Vielversprechenden jungen Kollegen einen Freiraum für die künstlerische Entwicklung zu bieten. In Florenz werde das bis heute gelebt, sagt Bursian.

Barbara Wege, Yorgos Sapountzis und Ilko Koester gehören neben Danz zu den Stipendiaten. Das Ergebnis ihrer sehr persönlichen Auseinandersetzung mit dem Maler, Grafiker und Bildhauer Max Klinger ist nun in Naumburg zu sehen.

Dass der spätromanisch-frühgotische Naumburger Dom sein gut besuchtes Weltkulturerbe bis hin zur Krypta und dem Domschatzgewölbe für zeitgenössische Kunst öffnet, ist keineswegs selbstverständlich. Holger Kunde, Stiftsdirektor der Vereinigten Domstifter zu Merseburg und Naumburg und des Kollegiatsstifts Zeitz, spricht von einer spannenden Kombination und von neuen Anmutungen. Der Kreuzhof sei protestantisch arm, jetzt biete er auf elegante Weise neue Annäherungen.

Wer den Kreuzhof betritt, sieht Druckplatten im Rasen verteilt stehen. Sie stammen vom Grafiker Ilko Koestler, gebürtig in Halle, der für dieses Projekt ein Buch erschaffen hat, ganz in Anspielung auf die druckgrafischen Mappenwerke von Max Klinger. Sein originalgrafisches Buch, gefüllt mit 40 Lithografien, liegt hinter Glas in der über schmale Stufen zu erreichenden Turmschatzkammer.

Überall im Welterbe stößt der Besucher auf zeitgenössische Kunst. Vor dem wegen Bauarbeiten mit Holzplatten verhüllten Ostchor hat der gebürtige Athener Yorgos Sapountzis seinen „Christus im Olymp“ entstehen lassen. Im Leipziger Museum hängt das gleichnamige Monumental-Bild von Klinger, bei Sapountzis besteht es aus Schaufensterpuppe, Stoff, Tusche und Stecknadeln. Im Vorraum zur Krypta auch wieder Kunst. Gut ins Licht gesetzt im Dunkel sind Barbara Weges „Landscapes of Life“, Landschaftsräume der Grafikerin in Anlehnung an das zeichnerische Werk Max Klingers.

Scheibchenweise begegnen dem Dom-Besucher die neuen Interpretationen. Er trifft auf Unerwartetes im Haus der berühmten Stifterfigur Uta. Das regt an, sich mit dem vielseitigen, talentierten, auch umstrittenen Klinger näher zu beschäftigen. Naumburg hat da einiges zu bieten.

Nur wenige Meter vom Dom entfernt liegt auf dem sogenannten Georgenberg das Oberlandesgericht. Davor plätschert im Brunnen das Wasser. Das Modell stammt von Klinger. Drinnen dessen „Zelt“, ein Zyklus aus 46 Blättern, an dem er auch in seinem Radierhäuschen in Großjena arbeitete. Die Edition aus der Sammlung des Stadtmuseums Naumburg wird erstmals der Öffentlichkeit präsentiert.

Dieser zweiten folgt eine weitere Ausstellungsstation im Klinger-Haus in Großjena gespannt. Im Landhaus des Künstlers erinnert Mariechen Danz an Klingers langjährige Lebensgefährtin Elsa Asenijeff. Danz hat für die lichtdurchflutete Veranda des heutigen Museums ein Seidenkostüm erschaffen, auf dem sie eigene Zeichnungen verewigte. Dort, mitten im Weinberg, endet der dreiteilige Klinger-Parcour. Begehen kann man ihn noch bis zum 31. Oktober.