Ballett-Premiere Monster auf der Suche nach Liebe
"Dracula" ist am Sonnabend als Ballett in der Inszenierung von Gonzalo Galguera im Magdeburger Opernhaus uraufgeführt worden.
Magdeburg l Es scheint müßig, angesichts der unzähligen Filme und Bücher über den Urvater aller Vampire dieser Geschichte noch etwas hinzuzufügen. Das war Magdeburgs Ballettdirektor Gonzalo Galguera wohl von Anfang an klar, weshalb er sich inhaltlich an die literarische Vorlage von Bram Stokers Vampirroman hielt. In seiner Choreographie hat Galguera neue Akzente mit den Mitteln des Tanzes, der „schwebenden Sprache“, gesetzt.
Auffallend sind bei dieser Ballettproduktion die ineinander übergehenden Stilmittel, die, ganz der Musikzusammenstellung angepasst, vom klassischen Ballett bis hin zum modernen Ausdruckstanz alles enthalten. Es ist Galguera gelungen, sogar innerhalb eines Bildes, ja eines Tanzes, das klassische Gruppenballett mit einem modernen und ungeheuer ausdrucksstarken Pas de deux, der nahtlos in einen Pas de troix übergeht, zu kombinieren. Das schafft eine völlig neue Sichtweise auf die tänzerische Interpretation, ist äußerst reizvoll und gleichzeitig ein enorm hoher Anspruch an die Ausbildung der Kompagnie. Es zeigt sich hier erneut, mit welcher Perfektion die Tänzer unter der Leitung ihres Ballettdirektors ihre Profession beherrschen.
Bei dieser Uraufführung ging es nicht in erster Linie um den Gruseleffekt, der dem Namen der Titelfigur schon anhaftet, sondern im Mittelpunkt steht die Dreiecksbeziehung von Dracula, Jonathan und Mina, also die dem Stoff ohnehin innewohnende Liebesbeziehung. Dracula ist dabei nicht ausschließlich das blutrünstige Monster, sondern auch Opfer auf der ständigen unerfüllbaren Suche nach Liebe, die aber immer mit dem Tod, besser Untod der Erwählten endet.
Die Titelrolle wird dabei von dem jungen Bulgaren Mihael Belilov als Gast getanzt. Seinen Namen sollte man sich schon jetzt merken. Und das nicht nur wegen seiner beachtenswerten Erfolge in der noch jungen Karriere, sondern auch, weil er ab der Spielzeit 2019/2020 als Erster Solist der Kompagnie des Theaters Magdeburg sicher noch für Aufmerksamkeit sorgen wird.
Das gilt ebenso für die Lucy in der „Dracula“-Inszenierung. Anastasia Gavrilenkova, seit zehn Jahren fest am Ballett des Theaters Magdeburg engagiert, wird ab der Spielzeit 2019/2020 als Primaballerina auf der Bühne stehen. Sie wurde in St. Petersburg geboren und hat die exzellente klassische russische Ballettausbildung genossen. In der Rolle der Lucy, die als schöner, umschwärmter Mittelpunkt eines Balls unwiderstehlich von dem ebenfalls anwesenden Grafen Dracula angezogen wird und ihm schließlich auch erliegt, zeigt sie mit einer enormen Bühnenpräsenz und großer Ausdrucksstärke ihr ganzes Können.
Lucy ist die Freundin von Mina Murray, der Verlobten des jungen Londoner Anwalts Jonathan Harker, der wegen eines Immobiliengeschäfts den Grafen Dracula in Transsylvanien aufsuchen muss und dort fast umkommt. Die Mina wird von der Kubanerin Grettel Morejón in Szene gesetzt. In ihrer Heimat war sie bereits Erste Solistin des Nationalballetts, auch in dieser Inszenierung glänzt sie mit bemerkenswerten tänzerischen Impulsen.
Adrián Román Ventura, der als Jonathan Harker in der Dreiecksbeziehung mit im Mittelpunkt steht, ist in Magdeburg ein guter Bekannter, der in zahlreichen Inszenierungen ganz wesentlich mit zum guten Ruf des Balletts beigetragen hat. Er hat im „Dracula“ schon in der zweiten Szene im Kampf gegen drei blutgierige junge Vampirinnen, die ihn nicht nur verführen, sondern vor allem beißen wollen, einen seiner Glanzauftritte.
Die Bühne von Darko Petrovic hält sich ganz dicht am berühmtesten Film zur legendären Dracula-Gestalt von Francis Ford Coppola. Mit viel Liebe zum Detail und großem filmischem Aufwand wird immer wieder die Verbindung zur cineastischen Vorlage und der jeweiligen Tanzszene gesucht, aber leider nicht immer gefunden. Hier und da lenken die Filmeinspielungen sogar vom eigentlichen Bühnengeschehen ab, was angesichts der gebotenen Leistungen schade ist.
Die Musik zu diesem Ballettstück ist vor allem, wie die Handlungsfigur, in der Spätromantik verortet. Sie stammt beispielsweise von Jean Sibelius, Elizabeth Maconchy, Leon Gurvitch, Franz Schreker, Ralph Williams, George Lloyd und Edward Elgar. Die musikalische Klammer für all diese Komponisten mit ihren Stücken bietet Sergej Rachmaninow mit seiner „Symphonic Dances“. Svetoslav Borisov, 1. Kapellmeister, hat es meisterlich verstanden, mit seinen Magdeburger Philharmonikern die unterschiedlichen Musiksprachen zu verbinden und darüber hinaus sehr einfühlsam die Tänzer zu unterstützen, ohne zu dominieren.
„Dracula“ ist ein Balletterlebnis der Sonderklasse – wieder einmal, darf man sagen.