Am Donnerstag wird der Preisträger des Literaturnobelpreises verkündet / Die Kandidaten Das Nobel-Karussell
Stockholm (dpa) l Über keinen anderen Nobelpreis wird vorher so viel spekuliert wie über denjenigen für Literatur. Und trotzdem: Wer ihn am Ende bekommt, sagt selten jemand richtig voraus.
Die Riege der US-amerikanischen Top-Autoren feiert in diesem Jahr ein schmerzvolles Jubiläum. 20 Jahre ist es her, dass mit der Vergabe an Toni Morrison (82) zum letzten Mal ein Literaturnobelpreis nach Nordamerika ging. Seitdem warten viele prominente Schreiber jedes Jahr aufs Neue vergeblich auf einen Anruf aus Stockholm. Obwohl ihre Auszeichnung nach Ansicht von Literaturkritikern längst überfällig ist - glaubt man den Auguren, geht der Nobelpreis dieses Jahr in eine geografisch andere Richtung. Geheimniskrämerei gehört zu den Lieblingsbeschäftigungen der schwedischen Akademie.
Umso stärker richtet sich das Augenmerk von Literaturfreunden und Zockern auf die Gerüchte im Vorfeld. Die Wettlisten bei Anbietern wie Ladbrokes oder Unibet führt der japanische Romancier Haruki Murakami (64) wie im letzten Jahr mit einigem Vorsprung an. Besonders spannend sind aber Namen, die relativ neu auf Listen auftauchen. Im letzten Jahr war das auch bei dem späteren Nobelpreisgewinner Mo Yan (58) so.
Mit ihm ehrte die Akademie zum ersten Mal in der langen Geschichte des Literaturpreises einen in China lebenden chinesischen Autor. Der erste aus China stammende Literaturnobelpreisträger war Gao Xingjian (2000), der aber französischer Staatsbürger ist und Frankreich zugeordnet wurde.
Mo Yan war eine umstrittene Wahl. "Es war nicht einfach, die Welt davon zu überzeugen, dass das die richtige Entscheidung war - den Preis einem chinesischem Autor zu geben, der der Kommunistischen Partei nahestand", sagt die Literaturexpertin Maria Schottenius, die für das Feuilleton der großen schwedischen Tageszeitung "Dagens Nyheter" schreibt. "Mo Yan ist ein sehr guter Autor, aber das Nobelkomitee wirkte ein bisschen naiv in der Art, wie sie ihn als Preisträger präsentiert haben."
Dass soviel über Preis und Preisträger diskutiert wird, belegt nach Ansicht des Ständigen Sekretärs der Akademie und Jurysprechers Peter Englund nur die ungeheure Bedeutung der Auszeichnung. "An dem Tag, an dem der Nobelpreis nicht mehr zu Kontroversen führt, ist er wohl bedeutungslos geworden", sagt Englund. Die Jury entscheide nur nach literarischer Qualität, nicht nach der Gesinnung der Autoren.
Gut möglich, dass die Akademie in diesem Jahr trotzdem eine politisch etwas weniger kitzlige Wahl trifft. Gute Chancen hat nach Einschätzung von Literaturkennern die weißrussische Autorin und diesjährige Gewinnerin des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels, Swetlana Alexijewitsch (65). "Eine mutige Frau", meint der Verleger Svante Weyler. "Eine außergewöhnliche Journalistin und Autorin", sagt Maria Schottenius. "Es wäre sehr weise, den Preis jemandem zu geben, der einen Unterschied machen kann, wie sie es tut." Alexijewitsch schreibt international beachtete Bücher über das Leben in autoritären Gesellschaften, ist in ihrer Heimat aber kaum bekannt.
Aufregung gab es vor einigen Wochen um einen angeblich verdächtig hohen Wetteinsatz, der bei Ladbrokes auf den kenianischen Autor Ngugi wa Thiong\'o (75) gesetzt worden war. Das Pikante daran: Der Tipp soll aus Schweden gekommen sein. Der britische Buchmacher dementierte prompt: "Die literarische Gerüchte-Mühle hat übersteuert."
Glaubt man den Wettlisten, finden sich so gut wie keine deutschsprachigen Autoren unter den Anwärtern, nachdem in der jüngeren Vergangenheit Günter Grass (1999), Herta Müller (2009) und die Österreicherin Elfriede Jelinek (2004) bedacht worden waren. Stattdessen werden unter Zockern etwa der Ungar Peter Nádas (70) oder der syrische Dichter Adonis (83) gehandelt.
Relativ weit oben auf der Ladbrokes-Liste hat auch US-Autor Philip Roth (80) seinen Stammplatz. Nachdem der ewige Nobelpreis-Anwärter im vergangenen Herbst seine schriftstellerische Karriere für beendet erklärt hatte, könnten das begehrte Nobel-Diplom und die 8 Millionen Kronen Preisgeld (etwa 930 000 Euro) sein Lebenswerk vergolden.
Allerdings stehen gleich hinter Roth durchaus preiswürdige ältere Kollegen wie Thomas Pynchon (76), Cormac McCarthy (80), Margaret Atwood (73), Joyce Carol Oates (75) oder Don DeLillo (76) Schlange für die begehrte Auszeichnung. "Die Akademie muss ihre jahrelange bewusste Ignoranz gegenüber der nordamerikanischen Literatur dringend aufgeben", fordert Literaturkritiker Denis Scheck.
Aber während ihre Zahl immer größer wird, werden die US-amerikanischen Top-Autoren immer älter - und dass sie doch noch einen Preis bekommen, halten Beobachter für unwahrscheinlich. Doch es kann natürlich niemand genau wissen, welche Entscheidung die Akademie fällen wird. "Wenn sie die Welt überraschen wollten, würden sie den Preis einem älteren weißen männlichen US-Schriftsteller geben", sagt Journalistin Schottenius.
Der Preisträger des Literaturnobelpreises 2013 wird am Donnerstag bekanntgegeben.