1. Startseite
  2. >
  3. Kultur
  4. >
  5. Die Tote im Körper der Tänzerin

Oper Die Tote im Körper der Tänzerin

Ein glitzernd keckes Anfangsmotiv, dann folgt herrlich spätromantische Musik. Die Magdeburgische Philharmonie verteilte sie großzügig.

Von Irene Constantin 24.01.2016, 23:01

Magdeburg l Die Oper „Die tote Stadt“ ist der frühe Geniestreich des Komponisten Erich Wolfgang Korngold, doppel-uraufgeführt in Hamburg und Köln 1920. Man wusste also, dass ein Erfolgsstück das Licht der Bühnenwelt erblicken würde – und man lag richtig.

Die Oper „Die tote Stadt" ist der frühe Geniestreich des Komponisten Erich Wolfgang Korngold, doppel-uraufgeführt in Hamburg und Köln 1920. Man wusste also, dass ein Erfolgsstück das Licht der Bühnenwelt erblicken würde – und man lag richtig. Das Publikum konnte noch einmal eintauchen in die Anbetung der morbiden Schönheit des Fin de Siècle, konnte den Jahrhundertsturz des Ersten Weltkrieges und die Anstrengungen der künstlerischen Moderne noch einmal vergessen.

78 Bühnen spielten das Stück nach. 1938 musste Korngold vor den Nazis fliehen, wurde ein Star unter den Hollywood-Komponisten, aber sein europäisches Werk wird erst jetzt langsam wiedererweckt.

Das Sujet der „toten Stadt“ hat tatsächlich Suchtpotential, heute wie damals, denn es vergräbt sich freudgerecht in Seelentiefen, blendet Gesellschaft und Politik konsequent aus. Ein Mann, eine lebende und eine tote Frau; das ist überschaubar und gleichzeitig großräumig genug, um mit Lust zu spekulieren. Der wohlhabende Mittvierziger Paul hat sich eine Art Mausoleum eingerichtet.

In dieser „Kirche des Gewesenen“ verbringt er sein Leben in Anbetung seiner vor fünf Jahren verstorbenen Frau Marie. Unerwartet begegnet ihm ihre Doppelgängerin auf der Straße, das gleiche Gesicht, die gleiche Figur, der Gang, die Stimme - und das gleiche blonde Haar. Nur einen Fehler hat diese Marietta. Sie ist ein munteres Wesen, eine lebenslustige Tänzerin, lässt sich nicht einschreinen als schönstes Schaustück der Vitrine mit den „Marien“-Reliquien. Sie nimmt den Kampf mit der Toten um Pauls Liebe auf. Marietta verliert. Paul erwürgt sie mit Mariens goldener Haarsträhne.

Erich Wolfgang Korngolds Oper basiert auf dem Roman „Bruges la morte“, „Die tote Stadt“ des belgischen Schriftstellers Georges Rodenbach. Brügge, die mächtige Handelsstadt des Mittelalters, in deren Mauern die Einrichtung und das Wort „Börse“ entstanden, erlebte mit der Versandung ihres Nordsee-Zuflusses einen Niedergang, der bis in das Industriezeitalter des 19. Jahrhunderts anhielt. Die Stadt war im Zeitalter der Renaissance erstarrt, blieb über Jahrhunderte ein abgeschiedener Ort der Kirchen, Klöster, Kanäle, ein neblig-nördliches Venedig. Erst Rodenbachs Kultroman läutete das Ende der Erstarrung ein, der Tourismus und Massentourismus entdeckte Brügges nie modernisiertes Ambiente.

Die noch unaufgeputzt tote Stadt indes ist mehr als nur eine schöne Folie, sie ist das „Todeselixier“ für die Atmosphäre des Romans und die Oper. Am Ende beschließt der Held, Brügge zu verlassen.

Ob er das allerdings tun kann, ist Deutungssache. Eigentlich ist alles, was zwischen Paul und Marietta nach der ersten Begegnung passiert, nur ein Traum, ein Traum, der Paul wieder für das Leben öffnet.

In der Magdeburger Deutung des Regisseurs Jakob Peters-Messer scheint der Mord jedoch tatsächlich geschehen zu sein. Im Hintergrund warten am Ende die Polizei und die geschlossene Psychiatrie. Brügge lebenslänglich. In Peters-Messers Deutung ist Paul eine unangenehme Figur, ein besitzergreifend herrischer Typ. Man kann durchaus mutmaßen, er habe Marie in den Selbstmord getrieben.

Wolfgang Schwaninger singt die Mörder-Partie des Paul genau auf diese Figuren-Deutung zugeschnitten. Es ist kein weichgezeichneter Tenor mit berückendem Timbre am Werk, sondern jemand, der die Brüche und Überforderungen der Figur hörbar macht. Härte und Flüstern hört man, manchmal flüchtet er aus der Welt in die Kopfstimme, zum Schluss erlöst er sich in reines Schwelgen.

Noa Danon als Marietta ist der Gegentyp. Kapriziös, virtuos, immun gegen Pauls kalte Nebelstimmung, versucht sie sich gar nicht erst in tiefenpsychologischer Gestaltung ihrer Partie. Jakob Peters-Messer hat mit ihr eine Art Zwillingsschwester von Richard Strauss’ Zerbinetta geschaffen. Die Parallelen liegen auf der Hand; Korngold kann Strauss’ „Ariadne auf Naxos“ gekannt haben. Auch er hat seiner lockeren Heldin eine Entourage von Harlekinen beigegeben, von denen der Bariton Pierrot, Thomas Florio, sein berückendes Lied „Mein Sehnen, mein Wähnen“, den Schlager dieser Oper, zum Besten gibt. Wie Zerbinetta singt Marietta gegen eine verbohrte Todesverehrung an. Danon lässt ihre Stimme glitzern, sehr irdisch, manchmal mit einem winzigen Akzent ins Halbseidene.

Kleinere Partien, Chor, vor allem aber der schier himmlisch singende Kinderchor sind in Magdeburg bestens besetzt. Das Orchester aber lieferte nach „Elektra“ seine zweite Großtat der Saison ab. Das „romantische Vollbad“ schäumte in allen Farben, ließ auch harte Akzente nicht aus, griff so beherzt wie der Komponist in alle Klangregister zwischen Wagner und Puccini.

Langer Beifall, sogar Trampeln: der Orkan unter den Magdeburger Begeisterungsstürmen.