Opernpremiere bei den Wernigeröder Schlossfestspielen "Don Giovanni" ganz in Weiß
Mozarts Oper "Don Giovanni" hatte zu den 18. Wernigeröder Schlossfestspielen am Freitag ihre gefeierte Premiere. Der Regisseur verkleidete alle Akteure als weiße Fabelwesen.
Wernigerode l Der Hamburger Regisseur Maximilian Ponader ist experimentierfreudig. Ein erster Pluspunkt. Das Philharmonische Kammerorchester unter Musikdirektor Christian Fitzner liefert großartig intendierten Klang ganz im Geiste Mozarts - Pluspunkt Nummer zwei. Der dritte Punkt geht an das Solistenensemble und den Chor. Viertens: Das opulente Schloss in der Ausformung durch den Historismus-Architekten Carl Frühling spielt unverstellt von Bühnenbauten mit.
"Ich habe mich viel mit ,Don Giovanni\' beschäftigt, ihn für mich analysiert und lese das raus, was ich in der szenischen Umsetzung sehen möchte" - so der Regisseur im Interview. Nur wenige Kulissenteile und Accessoires ganz in Weiß - das reicht als minimalistische Ausstattung (Bühne von Ponader, Kostüme von Julia Debus). Ihm stand ein junges Solistenensemble zur Seite. So international wie nie zuvor besetzt, multiglott und ganz exzellent!
Das Geschehen ist irreal - und wird zur fantastischen Realität. Zum besseren Verständnis werden die Rezitative und Chöre in Deutsch gesungen, die Arien auf Italienisch.
Inszenierung reduziert auf Grundmuster
Ganz in Weiß treten Don Giovanni (Christian Oldenburg) und sein Diener Leporello (der Finne Jani Kyllönen) an - beide von größter Spielfreude beseelt. Leporello im körperengen Trikot mit großen Botten wie aus der "Salamander"-Werbung und einer Narrenkappe aus Schlangen. Der Edelmann Giovanni mit einem an den Götterboten Merkur erinnernden Federhelm und einem Rucksack aus langen Plastikröhren. Er wirkt wie ein starres Pfauengefieder unter Verzicht auf Farben. Ein androgyner Typ, mit weit offener Brust und Glitzerkette à la David Bowie. Dazu der höchst lebendige Komtur (der Schwede Per Anders Hedlund), Vater Donna Annas.
Ponader zeigt neue Lesarten. Seinem Giovanni kann man die vom Libretto her vorgegebene Rolle als Frauenverführer nicht abnehmen. Wenn Leporello in der Registerarie dessen Amouren aufzählt - 90 in Persien, 100 in Frankreich, 230 in Deutschland, 640 in Italien und allein in Spanien 1003 - ist das maßlos übertrieben.
Dieser Giovanni ist kein Frauenaufreißer. Mit Männern flirtet er auch nicht. Er ist ein narzisstisches Wesen, das sich selbst genügt. Er kann nicht lieben. Ein tragischer Mann, der mit Glitter auf den Augenlidern über die Szene schwebt. Wie ein geschlechtsloser Engel.
Der "Herr Giovanni" und Leporello kreuzen als Katalysatoren den Weg der Frauen und Paare. Da wären Donna Anna (Theresa Sommer) und ihr Geliebter Ottavio (der Moskauer Alexey Egorov) - er ein Typ bebrillter Buchhalter, sie eine modebewusst-konventionell gerüstete Frau, die ihrem "Buchhalter" den Mord Giovannis an ihrem Vater klagt. Nur ihrem Frieden wird er sein Leben weihen.
Die enttäuschte und hoffende Ex-Geliebte Elvira (die Amerikanerin Anna Baxter) kommt in den Reigen. Und Masetto (der Pole Lukasz Konieczny) - bodenständig, gewitzt und proletarisch wie ein Handwerker - mit dem sehr geerdeten kessen Bauerngirl Zerlina (die Amerikanerin Alison Scher- zer). Im Spiel die überzeugendsten Protagonisten.
Konzeptionell kam Ponader auf die Idee, alle Personen im Verlauf der Handlung weiß einzukleiden. Als sogenannte Nysen. Weiße Fabelwesen in kostbaren Gewandungen. Das geschieht bis zur Pause. Dann sind alle im Nysen-Spiel. In der Hand des Engels - wie in Pasolinis "Teorema"-Film. In einer Geometrie der Liebe ...
Die Inszenierung reduziert auf Grundmuster. Auf Freude, Mitleid, Zorn, Trauer, Wut, Ohnmacht. Aber Mozarts Oper als "dramma giocosa" - als lustiges Drama - entzieht sich der Versimpelung. Auch einem einschichtigen Weißclownsspiel. Sie ist farbenreicher.
Gegen Ende tanzen die Zuschauer ein Menuett mit und singen. Mit sicht- und hörbarer Freude. Don Giovanni erlebt weder Höllenfahrt noch ewige Verdammnis. Bei Ponader geht das Stück versöhnlich aus. Alle feiern jubelnd ihre Läuterung durch Liebe. Über das szenische Ergebnis lässt sich streiten. Den Versuch war es wert. Ein Abend mit einem strahlend leichten Mozartorchester und traumhaft guten Solistenleistungen, allen voran Don Giovanni und Leporello. Musikalisch ein Glanzpunkt!