"Tschick"-Autor Wolfgang Herrndorf wurde nur 48 Jahre alt Ein Internet-Tagebuch gegen den Tod
Sein Buch "Tschick" machte Wolfgang Herrndorf zum Bestsellerautor, sein Weblog "Arbeit und Struktur" über das Leben mit einem tödlichen Hirntumor zum vielgelesenen Internetschreiber. "Schluss" stand gestern in diesem Tagebuch. Herrndorf ist tot. Er wurde 48 Jahre alt.
Magdeburg l "Tschick" ist ein ausgesprochen unterhaltsamer Roadroman, ein fantasievolles Abenteuerbuch über zwei Jugendliche auf ihrer Fahrt im klapprigen alten Lada quer durch Ostdeutschland. Herrndorf, zwar schon Ingeborg-Bachmann-Preisträger, aber damals noch ein unbekannter Schreiber, konnte mit seinen Protagonisten Maik Klingenberg und dem russischen Spätaussiedler Tschick den Platz auf den Bestsellerlisten wochenlang halten. Das Buch wurde mehr als eine Million Mal verkauft. Zahlreiche Theaterbühnen haben den Stoff für sich entdeckt. Am Magdeburger Schauspielhaus hatte "Tschick" vor einem Jahr Premiere gefeiert, ab Oktober steht das Stück wieder auf dem Spielplan.
Für das Überraschungsbuch gab es 2011 den Deutschen Jugendliteraturpreis, im März 2012 erhielt Herrndorf für seinen nächsten Roman "Sand" den renommierten Preis der Leipziger Buchmesse. Ein Freund reiste damals nach Leipzig und nahm die Auszeichnung entgegen. Herrndorf war schon schwer krank.
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"Ich werde noch ein Buch schreiben, sage ich mir, egal wie lange ich noch habe, wenn ich noch einen Monat habe, schreibe ich eben jeden Tag ein Kapitel. Wenn ich drei Monate habe, wird es ordentlich durchgearbeitet, ein Jahr ist purer Luxus."
Die Diagnose erhielt er 2010. Hirntumor. Unheilbar. Tödlich. Der Berliner begann, im Internet tagebuchartig das aufzuschreiben, was ihn bewegte, berührte, was er erlebte. Es war sein Leben mit der Krankheit und der Angst vor dem Tod.
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"Gestern haben sie mich eingeliefert."
Hirn-Operationen, Klinik, Chemotherapien, Sprachverlust, Epilepsie. Herrndorf, der als Illustrator auch für die Satirezeitschrift "Titanic" gearbeitet hatte, lebte längst zurückgezogen. Er gab weder Interviews noch Lesungen. Er schrieb im Internet-Tagebuch und ließ seine Leser an seinem Leben und seinem Kampf teilhaben.
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"Beim Aufstehen am Morgen drei oder vier Meter rückwärts durchs Zimmer getaumelt und mit Kopf und Nacken gegen die Tischkante geknallt."
Erschütternde Sätze sind zu lesen, immer wieder Berührendes, Bitter-Komisches, gepackt in Herrndorfs sprachliche Ästhetik.Man saugt seine Wörter auf - wie jene über die Libelle am Fenster, die er auf dem Boden findet, das Insekt vorsichtig in eine windgeschützte Ecke der Terrasse trägt und lange die vielleicht nur noch vom Wind bewegten Arme beobachtet.
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"Jeden Abend der gleiche Kampf. Laß mich gehen, nein, laß mich gehen, nein. Laß mich."
Diese Sätze schreibt Wolfgang Herrndorf am 2. August. Am 26. August ist er in Berlin verstorben, teilte der Rowohlt Verlag gestern mit. Nach Angaben seiner Weggefährtin Kathrin Passig soll er sich erschossen haben, meldete die Nachrichtenagentur dpa.Die Polizei hat das nicht bestätigt.
Eine Buchfassung seines Weblogs war sein Wunsch.
(alle Zitate aus: Herrndorf, Arbeit und Struktur)