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Premiere für das Ballett "Clockwork Orange" im Nordharzer Städtebundtheater Ein Mann von rauschhafter Brutalität

Von Hans Walter 24.09.2012, 03:27

Mit stehenden Ovationen feierte das Publikum am Freitag in Quedlinburg das Ensemble, den Choreografen Jaroslaw Jurasz und die Ausstatterin Andrea Kaempf für die Uraufführung ihres Kammerballetts "Clockwork Orange".

Quedlinburg l Jurasz, der Ballettmeister des Nordharzer Städtebundtheaters, ist ungeheuer produktiv im Geschichtenfinden und -erzählen. Jahr für Jahr produziert er mit der minimal besetzten Compagnie drei, vier Handlungsballette. Mit großen biblischen, literarischen oder filmischen Themen. Er fordert sich und sein kleines engagiertes Ensemble damit bis zum Letzten heraus. Nach der letzten Spielzeit hat die Hälfte der Tänzer das Theater gewechselt. Jurasz musste wieder neu beginnen, das Ensemble zu formieren.

Das "Clockwork Orange" (Uhrwerk Orange) nach dem vor 50 Jahren geschriebenen gleichnamigen Roman von Anthony Burgess und dem 1971er Film von Stanley Kubrick funktioniert auf der Ballettbühne geradezu perfekt. Um Anführer Alex (Jaume Bonnin) hat sich eine Gang junger Männer (Stephan Müller, Keigo Nozaki, Petr Zaionchovskiy) geschart. Auf ihr Triebleben und Drogengenuss reduziert, zieht sie geil und mordlüstern durch eine große Stadt.

Ausstatterin Andrea Kaempf stellte einen Zehngeschosser-Block auf die Bühne - ein Bild wie von dem Hallenser Maler Uwe Pfeiffer über Einsamkeit und Entwurzelung. Ihre Kostüme unterstreichen hervorragend die Individualität der Gang, sind sehr filigran, elegant und tanzbar.

Dieser Alex ist einerseits intelligent und sensibel, andererseits von rauschhafter Brutalität. Die Gang lässt ihn im Stich. Als er die Dame mit den Kätzchen (Yurija Nakahata) erwürgt, greifen Polizei, Justiz, Seelsorger und Mediziner zu. Alex wird inhaftiert und durch neurologische Experimente umprogrammiert. Aber hinter der Anpassung lauert die Zerstörung. Bloß das Wann und Wie ist unklar ...

Das Wundervolle an der Jurasz-Arbeit ist, dass er Themen wählt, die ihn ganz persönlich bewegen. Wie das im Programmheft geäußerte Burgess-Zitat: "Der Mensch ist ein Mikrokosmos, er ist ein Gewächs, organisch wie eine Frucht, er hat Farbe, Zerbrechlichkeit und Süße. Ihn zu manipulieren, zu konditionieren, bedeutet, ihn in ein mechanisches Objekt zu verwandeln - eine Uhrwerk-Orange."

War 2007 der seinerzeitige Überfall auf das Ensemble der "Rocky Horror Picture Show" in Halberstadt solch Moment des Nachdenkens, wenn auch die rechtsextremen Täter unbelehrbar dumpfbackig in ihrer Manipulation verharren?

Die Musik - Beethoven, Bellini, Elgar, Rossini und die "Toten Hosen" - kommentiert und kontrapunktiert das Geschehen.

Die Geschichte bietet den Männern große Möglichkeiten für das Solo mit Gruppe. Jaume Bonnin als Alex rückt langsam in die Solistenposition Daniel James Butlers nach.

Die Inszenierung gewährt den Frauen in den episodischen Rollen der Diva (Masami Fukushima) und ihrer Begleitung (Ann-Christin Miltzow, Y. Nakahata), der Stadtstreicherin (Ute Karadimow) und zweier lüsterner Mädchen (Marine Fernandez, Anna Vila) jeglichen Freiraum und fordert im zweiten Teil auch die Männer zu individueller Gestaltung heraus.

Es sind ausgerechnet die Gangmitglieder, die zur Ordnungsmacht werden. Alex wird entschärft. Jetzt sind es die drei anderen, die Gewalt auf ihn ausüben. Als Polizist, Pfarrer, Arzt. Ein Bild mit Symbolkraft.