Kunstmuseum Kloster Unser Lieben Frauen zeigt Installationen von Raffael Rheinsberg Ein stets Suchender, dessen Kunst Geschichte atmet
Raffael Rheinsberg ist ein ewig Suchender – und ein immer Findender. Er arrangiert das, was er irgendwo auf der Welt in verfallenen Häusern, auf Schrottplätzen, Industriegelände und in der Natur zusammenträgt. Es entstehen großflächige Installationen aus Fundstücken, die Geschichte atmen. Drei seiner Kunstwerke zeigt er ab morgen im Kunstmuseum Kloster Unser Lieben Frauen.
Von Grit Warnat
Magdeburg. Bohrköpfe schrauben sich aus dem Boden des großen Tonnengewölbes, recken sich zur Decke empor. 95 sind es an der Zahl, die in einer in sich geschlossenen Ordnung eine großes rechteckiges Feld ausfüllen. Sie stehen in Reih und Glied, sehen schwer aus und sehr verschieden. Hier haben viele Handwerker und Goldsucher ihre Handschrift hinterlassen. So wurde jeder Bohrkopf vom Rio Madeira ein Unikat.
Sie sollen dem Betrachter ihre Geschichte erzählen, wie sie einst im brasilianischen Amazonasgebiet das Erdreich aufgewühlt haben und Flüsse durchfurchten auf der Suche nach wertvollem Gold. Gold gegen Kokain. Für Raffael Rheinsberg ein zerstörerischer Kreislauf.
Diese Bohrköpfe, die er 1992 für sich und seine Kunst bei einem Brasilienaufenthalt entdeckte, lassen seine Arbeitsweise verstehen. Suchen. Finden. Retten. Erinnern. Es geht ihm um das Bewahren von Inventar einer vergangenen Zeit. Weil so viel verschwindet in unserer schnelllebigen Welt. Wir achten auf das Neue und merken nicht, wie das Alte weicht.
Im Zweiten Weltkrieg wich das Dagewesene tausendfach. Raffael Rheinsberg, 1943 in Kiel geboren, erlebte den Krieg, der seine Heimatstadt zerstörte. Seine Erinnerungen an diese Zeit prägten das künstlerische Denken des Mannes, der erleben musste, wie vieles im Schutt der Zeit landete. Viel später soll er einmal gesagt haben, dass Gegenstände eine Seele haben.
In seiner Kunst erfindet er nichts, er denkt nichts hinzu. Er beschränkt sich auf das, was da ist. "Kein anderer Künstler in Deutschland hatte diese Arbeitsweise entwickelt", sagt Uwe Gellner, der mit Rheinsberg die Ausstellung konzipiert hat. "Er ist ein Original in seinem künstlerischen Konzept." In den Kunstmetropolen der Welt stellt er aus, die Neue Nationalgalerie in Berlin, die Staatsgalerie München, die Nürnberger Kunsthalle haben Arbeiten von ihm.
Für seine Suche geht der gelernte Gießer, der im Hunsrück und in Berlin lebt, seine ganz eigenen Wege. Er fand in einem sumpfigen Wasser einen zerschlissenen, schäbigen Schuh und noch einen und noch einen. Zwangssarbeiter hatten sie zur Nazi-Zeit getragen. Jahrzehnte nach Kriegsende stellt er sie aus und erinnert uns an unsere Geschichte.
Er entdeckt entlang von Bahngleisen Eisenteile, trägt handgefertigte Abdeckungen von Hydranten zusammen und findet im brasilianischen Sao Paulo Ziegelsteine und Werkzeug zu deren Herstellung. Auch sie arrangiert er in der ihm eigenen Ordnung. "Casa/Haus" (1988) ist die Installation überschrieben, die das Individuelle zeigt, die Vielschichtigkeit der Arbeiten. "Im Mauerwerk wird der Ziegelstein anonym. Rheinsberg holt ihn aus dieser Anonymität und macht so das Unsichtbare sichtbar", sagt Gellner. Dieses Unsichtbare wird auch sichtbar in der Installation "Die Antike kennt uns nicht". Schamottesteine vom Areal einer alten Kokerei der Zeche Zollverein in Essen arrangiert er auf einer Fläche und spielt dabei mit Formen und Farben.
Auch die Schamottesteine und "Casa" sind in der Ausstellung "Alles hat seine Zeit..." zu sehen. Die Vernissage beginnt morgen um 15 Uhr im Kunstmuseum. Zur Ausstellung (bis 18. September) ist ein Katalog erschienen.