Abschlusskonzert zu den Halberstädter Domfestspielen erinnert an 300 Jahre Synagoge Eine Collage zum Dialog der Religionen
Die Halberstädter Domfestspiele waren dem Dialog der Religionen gewidmet. So stand das Konzert des Orchesters und junger Solisten des Nordharzer Städtebundtheaters unter Leitung von Musikdirektor Johannes Rieger am Sonntag unter dem Motto "Diaspora - 300 Jahre Synagoge Halberstadt".
Halberstadt l Vor drei Jahrhunderten lebten fast tausend jüdische Mitbürger in Halberstadt - fast 200 Familien. Die jüdische Gemeinde war damit eine der größten in Mitteleuropa. Berend Lehmann stiftete ihnen eine prächtige barocke Synagoge, die 1938 dem Erdboden gleich gemacht wurde und erst seit wenigen Jahren als mahnendes Kunstprojekt in Spuren wieder an die großen Traditionen erinnert.
Rieger und Dramaturgin Susanne Range schufen für die Konzerthörer eine verstörende Collage. Es war kein Konzert, das man wie ein Praliné genießen konnte. Einleitend stand die Trompetenouvertüre von Felix Mendelssohn Bartholdy in festlichem C-Dur. Aus Georg Friedrich Händels 1738 entstandenen Oratorium "Israel in Ägypten" in Mendelssohns Bearbeitung erklang anschließend das Tenor-Rezitativ "Nun kam ein neuer König" und die Mezzosopran-Arie "Und Frösche ohne Zahl bedeckten das Land".
Die Orchesterkomposition "Diaspora" des erst 21-jährigen Elischa Kaminer schloss sich an - schon 2008 für die Orchesterwerkstatt Halberstadt entstanden und mit dem Werckmeister-Kompositionspreis ausgezeichnet. Eine beachtliche Talentprobe. Diaspora - das bedeutet Entwurzelung einerseits, andererseits das Treiben neuer Wurzeln. Kaminer setzte historische Markierungen wie die Zerstörung des Jerusalemer Tempels durch Nebukadnezar II. um 598 vor Christus und die Gründung des Staates Israel 1948. Musikalisch fanden über 2500 Jahre Exil und die nationale Wiedergeburt durch das Tischgebet "Shir hamaalot" - ergreifend vom Solo-Cello gespielt -, durch ein Totengebet für die Opfer des Holocaust und Motive der israelischen Nationalhymne "Hatikvah" ihren Ausdruck.
Anschließend wieder Händel-Arien aus "Israel in Ägypten" - eine große sängerisch-erzählerische Leistung von Regina Pätzer (Mezzosopran), Nina Schubert (Sopran) und Tobias Amadeus Schöner (Tenor), die mit schnörkellosen Kantatenstimmen sowohl solistisch als auch in Duetten brillierten. Das unbedingte Zuvertrauen zu Gott, der Herr als das Heil und das Lied - das war die große künstlerische Botschaft.
Zum Abschluss dann spielte das glänzend disponierte Orchester Leonard Bernsteins 1. Sinfonie "Jeremiah". Wieder wird - wie bei Kaminer - der Tempel von Jerusalem zerstört. Eine Glaubenskrise setzt mit dem dritten Satz "Lamentation" und der Klage des Jeremias ein. Bernstein gab einem Mezzosopran (Regina Pätzer) die fordernde Aufgabe, die Klage in Hebräisch zu singen. In Deutsch lautet der Text "Wie liegt die Stadt so wüst, die voll Volks war ..."
Die Assoziation zum kriegszerstörten Halberstadt, dem Schicksal der Kirchen und der Zerstörung der Synagoge liegt nicht fern. Eine verstörende Collage aus fast 275 Jahre Musikgeschichte im Dialog der Religionen.