Im Gespräch mit Schauspieldirektor Jan Jochymski über sein Regiedebüt am Opernhaus "Es ging und geht um die Ware Mensch"
Seit zweieinhalb Jahren ist Jan Jochymski Schauspieldirektor in Magdeburg. Jetzt geht er mit seinem Ensemble ans Opernhaus. Jochymski inszeniert dort die "Dreigroschenoper". Grit Warnat hat mit ihm gesprochen.
Volksstimme: Sie geben mit der "Dreigroschenoper" ihr Regiedebüt am Opernhaus. Was interessiert Sie an diesem Brecht/Weill-Stück?
Jochymski: Vor allem das Gangstermilieu, eine Westernromantik, diese Welt, in der alles in Ordnung zu sein scheint. Der Polizeichef von London gibt dem obersten Gangster einen Hinweis, wenn es eine Razzia gibt, der gibt ihm wiederum Geld, man darf kostenlos ins Hurenhaus. Jeder gewährt dem anderen ein Gebiet. Wenn ich als Regisseur auf die Suche nach Stoffen gehe, dann überlege ich mir natürlich auch, was Schauspieler gern spielen würden. Den Gangsterboss, den Polizeihauptmann, Huren zum Beispiel. Das sind alles tolle Rollen.
Volksstimme: Wie groß ist die Herausforderung für die Schauspieler?
"Das Eingängige ist die Musik, da kann man noch so viele sozialkritische Texte singen"
Jochymski: Das Stück ist von Brecht für Schauspieler geschrieben, Weill hat es sehr raffiniert in die Höhe komponiert. Da müssen Schauspieler, die nicht im Gesang zuhause sind, natürlich hart arbeiten. Jeder Schauspieler kann singen, aber auf den Punkt da zu sein, mit Orchester, mit dem Chor, ist jetzt schon eine totale Herausforderung.
Volksstimme: Brecht wollte sozialkritisches Theater auf die Bühne bringen. Das ging 1928 zur Uraufführung der Dreigroschenoper unter, die Leute haben sich eher für die Musik interessiert als für den sozialkritischen Unterton.
Jochymski: Das Eingängige ist natürlich die Musik, da kann man noch so viele sozialkritische Texte singen. Ich sehe das nicht als Schwachpunkt des Stückes, aber das muss man wissen. Wir machen nicht "Die heilige Johanna der Schlachthöfe" oder "Im Dickicht der Großstädte", wir machen Operette, Oper.
Volksstimme: ... aber doch mit politischem Stoff.
Jochymski: Ja, natürlich. Was mich vor allem interessiert, ist die Frage, was der Mensch kostet, was wir heute wert sind - danach wird doch nur noch abgerechnet. Es ging und es geht um die Ware Mensch. Das ist von 1928 bis jetzt so geblieben. Es gibt aber auch einen anderen heutigen Bezug: Zu welchem Preis lasse ich jemanden über die Klinge springen oder wie verschaffe ich mir einen Vorteil gegenüber dem anderen? Im Stück würde jeder jeden opfern. Das ist Konkurrenzkampf pur.
Volksstimme: "Die Dreigroschenoper" wird an den deutschen Theatern viel gespielt. Haben Sie keine Angst vor einem gewissen Sättigungsgrad?
Jochymski: Nein, gute Songs funktionieren immer wieder, es ist ein eingängiges Stück, das in Magdeburg elf Jahre nicht gezeigt wurde.
Volksstimme: Welches Publikum wollen Sie ansprechen?
"Im Musiktheater und im Schauspielhaus arbeitet man völlig unterschiedlich"
Jochymski: Ich hoffe auf sehr breites Interesse, und dass natürlich auch die Schauspielhaus-Gänger ins Opernhaus kommen. Es gibt auch keine Altersbegrenzung.
Volksstimme: Wie bringt sich das Musiktheater ein?
Jochymski: Wir werden unterstützt von zehn Orchestermusikern und von einem 16-köpfigen Chor. Die Stimmen der Schauspieler werden in den finalen Songs verstärkt. Das macht den Schauspielern große Freude. Mir übrigens auch.
Volksstimme: Wie interessant ist diese Arbeit für Sie?
Jochymski: Im Musiktheater und im Schauspiel arbeitet man völlig unterschiedlich. Findungsprozesse in den szenischen Proben im Schauspiel haben absolut mehr Zeit, auch die Spontanität ist größer. Beim Musiktheater geht anfangs jeder seinen Weg, die Musiker üben mit der musikalischen Leiterin, der Chor übt für sich. Bei den wenigen gemeinsamen Bühnenproben setzen wir das alles zusammen. Das ist eine andere Erfahrung.
Volksstimme: Ist Ihre Anspannung besonders groß?
Jochymski: Jetzt noch nicht, wir müssen bis zur Premiere in einer Woche noch viel arbeiten. Es gibt zum Beispiel einen Schluss, den wir noch arrangieren müssen. Ich denke, die Aufregung kommt nächste Woche.
Volksstimme: Sie führen schon lange Regie. Haben Sie vor Brecht eine besondere Ehrfurcht?
Jochymski: Man hat beispielsweise bei Schiller oder Shakespeare eine Ehrfurcht, auch vor Brecht, natürlich. Aber die konnte ich ablegen durch die Arbeit an "Der gute Mensch von Sezuan", ein Stück, das auch vom Publikum gut angenommen wurde. In der jetzigen Inszenierung ist es eher die Ehrfurcht vor dem Musiktheater, weil ich und die Schauspieler hier nicht zuhause sind. Aber alle haben Lust zu spielen. Ich denke, der Abend wird flott und amüsant. Dafür haben wir rausgestrichen, was sich verstaubt und hölzern anhört.
"Wir leisten uns auch weniger populäre Stücke, weil wir sie als Theaterleute gut finden"
Volksstimme: Ein Brecht-Zitat heißt: "Sie machen Vorschläge. Wir nehmen sie an." Das renommierte Thalia Theater Hamburg nahm das zum Anlass, sein Publikum über einen Teil des Spielplanes abstimmen zu lassen. Was halten Sie davon?
Jochymski: Jeder Schritt, den man unternimmt, um mehr Zuschauer ins Theater zu kriegen, ist lobenswert. Aber dieser Weg der Abstimmung muss gut überlegt sein, denn für manche Stoffe sind die Aufführungsrechte gesperrt, manche wurden auch erst vor kurzer Zeit aufgeführt, die macht man nicht noch einmal. Das setzt Entscheidungsgrenzen. Wir sind viel im Gespräch mit dem Publikum, haben jetzt die vierte Spielzeit durchgeplant und reagieren auch auf das, was in den zweieinhalb Jahren meiner Zeit hier als Schauspieldirektor passiert ist. Wir leisten uns auch weniger populäre Stücke wie "Totentanz" oder "Reigen", weil wir sie als Theaterleute gut finden und sie sich gut in ein anspruchsvolles Gesamtprogramm einfügen. Aber wir machen auch eine konventionelle "Dreigroschenoper". Solche Kombinationen sind wichtig für einen Spielplan.
Premiere: 10. Februar, 19.30 Uhr, Opernhaus, weitere Vorstellungen: 11., 19. und 26. Februar