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Morgen wird der Bildhauer Werner Stötzer beigesetzt Geformte Empfindungen

Von Uwe Gellner 30.07.2010, 05:48

Morgen wird der Bildhauer Werner Stötzer auf dem Friedhof im brandenburgischen Altlangsow beigesetzt. Stötzer, der die Kunstlandschaft der DDR mitgeprägt hatte, war am 22. Juli im Alter von 79 Jahren nach langer schwerer Krankheit in Altlangsow gestorben, wo er gemeinsam mit seiner Frau Sylvia Hagen gelebt und gearbeitet hatte. Zu den Arbeiten des Künstlers, die sich im Kunstmuseum Magdeburg befinden, zählt eine Skulptur, die er "Gruppenstudie zu Auschwitz" nannte.

Magdeburg. Werner Stötzer hat diesen Sandstein in den Jahren 1974/75 bearbeitet. Wer in dem DEFA-Klassiker "Der nackte Mann auf dem Sportplatz" von Konrad Wolf und Wolfgang Kohlhaase von 1974 darauf achtet, wird diesen Stein, damals noch im Atelier des Bildhauers, gespielt von Kurt Böwe, finden. Stötzer selber spielt in der amüsanten Filmsatire den Bürgermeister eines kleinen Ortes in Thüringen.

Die Filmkamera wandert die menschlichen Körperformen der Skulptur in Nahaufnahme ab. Ihren unverwechselbaren Figurentypus von mehreren sich aneinander drängenden Menschen hat Stötzer zuerst schon 1966/67 im Zusammenhang mit einer zentral in seinem Werk stehenden Bronzetür für das Magdeburger Kunstmuseum Kloster Unser Lieben Frauen entwickelt. Damals hatte dem Bildhauer der Name Babi Jar lange keine Ruhe gelassen. Es handelt sich um die Bezeichnung einer kleinen Schlucht bei Kiew, in die deutsche Truppen im September 1941 Zehntausende ukrainischer Juden hineingepfercht und ermordet haben.

Die "Auschwitzgruppen" – es gibt noch weitere dieser kleinen plastischen Epitaphe für namenlose Opfer in deutschen Konzentrationslagern –variieren die Idee von aneinander geschmiegten Menschen. Ihre gemeißelten Formen sind jeweils durch die natürliche Beschaffenheit des Steins bestimmt.

Noch immer Stein und dennoch schon Körper, über diese Wechselbeziehung gelingt es dem Bildhauer abzubilden, was Bildwerke normalerweise nicht zeigen können: Die Körperformen beginnen zu sprechen und machen Menschliches fühlbar. Hier sind es Schutzsuche, Angst und bei aller Hilflosigkeit auch Gemeinsamkeit im Unausweichlichen.

Das sind tiefe Empfindungen in Stein geformt aus drei Figuren, die sich als Reihe beliebig fortsetzen lassen, ohne das unvorstellbare Maß menschlicher Opfer vorstellbar machen zu wollen.

Stötzer sucht nicht die große Geste

Stötzer tut, was er sich selber schuldig ist angesichts von Auschwitz oder Babi Jar, angesichts der Geschichte. Kein staatlicher Auftrag hat die Skulpturen eingeengt, es sind persönliche Zeugnisse, die erklären, weshalb die Bildhauerei auch noch in unserer modernen Zeit notwendig ist.

Wenige Bildhauer in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts haben dem Stein mit vergleichbarer Intensität zu Ausdruck verhelfen können. Der Österreicher Fritz Wotruba zweifelsohne, seine Figuren sind wie aus Blöcken geschichtet – Stötzer verehrte ihn – seine eigenen Figuren aber sind viel emotionaler und rhythmisch durchatmet.

Stötzer sucht nicht die große Geste. Seine Skulpturen können abwarten, bis sich die Augen des Betrachters öffnen, um auch die tieferen Schichten von Bedeutung zu entdecken. Seine Kunst spricht die Sprache der leisen Töne, dieselbe in der sich auch die Natur oder die Landschaft den Menschen mitteilen. Die Landschaft war immer die ursprüngliche Quelle Stötzers. Als der 1931 Geborene seine Heimat Thüringen verlässt und ins märkische Oderland zieht, nimmt er die Landschaft seiner Kindheit in den Formen seiner Skulpturen mit.

Seine Werra-Saale-Gruppe illustriert dies noch in den 1980er Jahren. Sie wurde 1989 im Skulpturenpark des Kunstmuseums in Magdeburg aufgestellt und befindet sich südlich der Klosterkirche. Zu Magdeburg hatte Werner Stötzer stets eine besondere Bindung. Im Kulturhistorischen Museum fand 1963 seine zweite Einzelausstellung überhaupt statt.

1992 und 2002 folgten große Werkpräsentationen im Kunstmuseum, dessen Sammlung mit Hilfe des Landes Sachsen-Anhalt zuletzt mit der "Prinzessinnengruppe" eine wichtige Marmorskulptur aus seinem Spätwerk erwerben konnte. Er war Ehrenmitglied im Verein der Freunde und Förderer des Magdeburger Kunstmuseums.

Stötzer war langjähriges Mitglied der Akademie der Künste zu Berlin und hat Generationen junger Bildhauer ausgebildet. Mit der "Auschwitzgruppe" hat Werner Stötzer der Trauer vieler Menschen ein Zeichen dafür gegeben, dass Erinnerung gelebt werden kann.

Zurzeit ist diese Skulptur in der Hochsäuligen Kapelle des Kunstmuseums zu sehen. Über die Idee hinaus, die Stötzer ihr gab, ist sie eines der schönsten Zeugnisse seiner künstlerischen Handschrift, der frühe Beleg eines nun abgeschlossenen Lebenswerkes, dessen Bedeutung für die Kunstgeschichte in Deutschland bestehen bleiben wird.