Geldgier und Begierde: Zola-Epos bei der Ruhrtriennale
Sucht nach Geld und Sucht nach Liebe - Die Ruhrtriennale bringt im Laufe von drei Jahren Zolas Epos Rougon-Macquart auf die Bühne. Aus einem 20-bändigen Roman werden insgesamt sechs Stunden Theater. Eine Gratwanderung.
Duisburg (dpa) - Wohl wenige dürften Émile Zolas 20-bändiges Familienepos Les Rougon-Macquart - die Geschichte einer Familie im Frankreich der industriellen Revolution - je von der ersten bis zur letzten Seite gelesen haben.
Nicht nur für den belgischen Regisseur Luk Perceval ist es daher eine Herausforderung, die mehreren tausend Seiten Roman in drei Theaterstücke zu je zwei Stunden zu pressen. Auch der Zuschauer hat seine liebe Not, das ziemlich komplizierte Personengeflecht zu ordnen.
Bei der Ruhrtriennale wurde am Mittwochabend der zweite Teil von Percevals Trilogie meiner Familie mit dem Titel Geld uraufgeführt. Vor einem Jahr produzierte Perceval, Experte für die Bühnen-Komprimierung dicker Wälzer, mit dem ersten Teil Liebe solides Theater. Diesmal wagte er mehr: Trieb und Begierde, Geld und Macht, Demütigung und Anbetung inszeniert er in deftigen und rohen Szenen, manchmal aber auch mit ironischem Wortwitz, der Lacher im Publikum auslöst. Die Grenze zum Vulgären überschreitet Perceval dabei nie.
Der Frühkapitalismus mit seiner ungezügelten Gier nach Geld steht im Zentrum des zweiten Teils der Trilogie. Wieder sitzen die Zuschauer in der halboffenen und sehr rostigen Gießhalle eines ehemaligen Stahlwerks in Duisburg - dieses Jahr bei angenehmen Sommertemperaturen. Die bereitgelegten Decken verschwinden unter den Sesseln.
Das Ensemble des Hamburger Thalia Theaters, das Koproduzent des Stückes ist, brilliert auch diesmal, allen voran Maja Schöne als Edelkurtisane Nana und Barbara Nüsse als alternder, gebückter Graf, den Nana verachtet und von dem sie finanziell dennoch abhängig ist. Nach zwei Stunden exzessiven Theaters sind die Zuschauer erst einmal einige Sekunden benommen, bevor langanhaltender Applaus aufbrandet.
Wieder ist die Bühne eine Art Half-Pipe aus Holzbohlen, die sich wie eine Welle in die Höhe wölben. Obenauf thront Nanas Zimmer-Paravent wie eine uneinnehmbare Burg. Auf dem Boden liegen Schreibmaschinen als Sinnbilder des Raubtierkapitalismus im 19. Jahrhundert.
Perceval wählt diesmal Band Nummer 9 (Nana), Band 11 (Das Paradies der Damen) und Band 18 (Das Geld) als Vorlagen. Zentrale Figuren in Geld sind Nana und der Spekulant Saccard. Nana, Tochter der am Alkohol zugrunde gegangenen Wäscherin von Gervaise, will es besser haben und steigt zur teuren Mätresse des von ihr gedemütigten alten Grafen auf. Sie verlässt ihr Kind für ein ausschweifendes Liebesleben und stirbt früh an Pocken.
Saccard will den Orient erobern und Syrien zu seinem Sprungbrett machen. Das Great Game steht noch am Anfang. Dort liegt die Zukunft, ruft Saccard. Und die gehört dem Kapital. Damaskus, Aleppo, Bagdad zählt Saccard auf. Das Geld wird Wunder schaffen. Wir werden es Goldstücke hageln lassen. Am Ende bricht Saccards Finanz-Imperium Universalbank zusammen und sein palastähnliches Kaufhaus Paradies der Damen ist pleite.
Tiefe Bässe und bedrohliche Industrieklänge des Klangkünstlers Ferdinand Försch treiben den Wettlauf in die Katastrophe voran. Der naive Glaube an die Macht des Geldes auf der Bühne wird gebrochen durch die Ruinen des Meidericher Stahlwerks, die davon erzählen, wie es mit dem globalen Kapitalismus weiterging.
Am Morgen nach diesem aufrührenden Theaterabend bringen die aktuellen Fernsehnachrichten wieder Reportagen aus Aleppo, Damaskus und anderen syrischen Städten, die im Jahr 2016 in Schutt und Asche liegen. Zola schrieb seinen Rougon-Macquart Zyklus in den letzten drei Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts. Er betrifft uns noch heute.