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Äußerst vollständig Gerhard Richters "Editionen" in Essen

Das Museum Folkwang zeigt Gerhard Richters sämtliche 173 Editionen. Die Schau fungiert zugleich als Retrospektive. Denn in seiner Auflagenkunst sind alle wichtigen Stationen des Künstlers vertreten, sagen die Macher.

Von Fabian May, dpa 05.04.2017, 14:23

Essen (dpa) - In den meisten Museen gilt: Wer als "Serientäter" Gemälde abfotografiert, fliegt raus. Es sei denn, man heißt Gerhard Richter. Dann bekommt man damit sogar eine eigene Ausstellung. "Die Editionen" heißt die Richter-Schau im Essener Museum Folkwang.

Sie zeigt sämtliche 173 Auflagenkunst-Serien, die der wohl teuerste lebende Künstler der Welt bis dato herausgegeben hat. Zu sehen sind unter anderem seine bewusst unscharfen Fotos von Gemälden wie die "Kl. Badende" (1996) und der unscharfe "Mao" (1968). Oder Gemälde nach Fotografien wie seine "Kerze I" (1988).

Richter (85) kommt aus einer Zeit, in der die Malerei sich durch die Fotografie künstlerisch unter Druck gesetzt fühlte. Er selbst hat immer damit experimentiert, was das eine Medium mit dem anderen macht, was die Reproduktion mit dem Original und was ein Original überhaupt ist.

All diese Fragen sehe man schon in Richters erster Edition von 1965, erklärt Hans-Jürgen Lechtreck, einer der Kuratoren. 1965 nahm Richter ein Foto des Schäferhunds Wolfi aus dem Familienalbum seiner damaligen Frau, reproduzierte es aufwendig als Siebdruck und verwischte die Farbe mit einem Pinsel, bevor sie trocken war.

"Der 'Hund' steckt schon den gesamten Horizont ab", sagt Lechtreck. Mit ihm beginnt die Schau. So wie 1970, als Richter im Folkwang seine laut den Ausstellern erste Einzelausstellung in einem Museum ("Graphik 1965-1970") überhaupt hatte. Nach diesem kleinen institutionellen Eigenlob wird die Schau analytisch.

Unter Titeln wie "Orchidee, Kerze", "Farbfelder" oder "Abstraktionen" fächert sie Richters gesamtes Editionen-Werk auf. Das macht sie auch zur Retrospektive, sagt Lechtreck. Denn in Richters Auflagenkunst steckten alle wichtigen Stationen seiner künstlerischen Entwicklung.

Teil der Ausstellung ist auch eine neue Edition, die Richter extra dafür gefertigt hat: zwei Fotografien eines Schädelgemäldes von 1983, ein Vergänglichkeitssymbol hinter Glas, in dem der Betrachter sich spiegelt.

Große Teile der Ausstellung stammen vom privaten Essener Sammler Thomas Olbricht, der auch als Kurator mitgewirkt hat. Olbricht hat laut Museum die weltweit einzige vollständige Sammlung von Richters Editionen. Bei einem Rundgang am Mittwoch nannte Olbricht die Ausstellung sein "absolutes sammlerisches Lebens-Highlight bisher".

Die Vollständigkeit, die den Sammler antreibt, überfordert indes manchen unkundigen Betrachter und lässt die Schau mitunter etwas wahllos und unfokussiert wirken. Der mündige Betrachter muss seine eigenen Wege zwischen den Bildern finden, am besten mithilfe des schnell durchzusehenden Booklets.

Das schließt etwa Richters Experimente mit Farbe gut auf. Zum Beispiel sein Grau, das streng aus den Erfahrungen mit seinen Werken abgeleitet sei. Oder sein Rasterbild "Blau-Gelb-Rot" (1974). Bei diesem ließ er das Los entscheiden, welcher Rasterpunkt welche Farbe bekommt.

Dieser Ansatz fand 2006 eine sehr berühmte Fortsetzung im Richter-Fenster im Kölner Dom. Das ist als Einzelstück aber nicht Gegenstand der Serien-Ausstellung. Die Zusammenschau all dieser Werke erzählt von Richters Sensibilität für die Eigenlogiken des Bildermachens.

Sie zeigt auch, warum Richter kein populärer im Sinne von leicht zugänglicher Künstler ist. Was Farbe ist und was genau beim Bildermachen passiert - das ist alles sehr grundsätzlich, aber nicht jeder findet solche Meta-Diskurse zwingend.

Wer allerdings wie Richter für die Materialität und die Eigenlogik von Bildern empfänglich ist, findet in Essen einen anregenden Überblick.

Gerhard Richter. Die Editionen.

Sammler Thomas Olbricht im Folkwang Museum. Foto: Caroline Seidel
Sammler Thomas Olbricht im Folkwang Museum. Foto: Caroline Seidel
dpa