Literaturnobelpreisträger Günter Grass wird 85 Jahre alt / "Die Blechtrommel" war ein Welterfolg Geschichtenerzähler, Mahner, Provokateur
Geschichtenerzähler, Mahner und politischer Provokateur: Günter Grass hat in Deutschland viele Rollen ausgefüllt. Der Literaturnobelpreisträger wird heute 85 Jahre alt.
Berlin (dapd) l Seine Romane haben einen festen Platz in der deutschen Nachkriegsliteratur, jahrelang galt er als moralische Instanz - bis zu seinem Geständnis, 1944/45 mehrere Monate lang Mitglied der Waffen-SS gewesen zu sein. Politisch nahm der Literaturnobelpreisträger, der heute seinen 85. Geburtstag feiert, nie ein Blatt vor den Mund. Damit machte er sich nicht nur Freunde. Wegen seines im April 2012 veröffentlichten Gedichts "Was gesagt werden muss", in dem er die israelische Politik kritisierte, wurde er heftig angefeindet.
Schon Grass\' erster Roman "Die Blechtrommel" (1959) wurde ein Welterfolg, nach wie vor gilt er als eines der wichtigsten erzählerischen Werke der wenige Jahre vorher gegründeten Bundesrepublik. Die Geschichte über Oskar Matzerath, den Sonderling, der nicht wachsen will, war der erste Teil der "Danziger Trilogie", zu der auch "Katz und Maus" (1961) und "Hundejahre" (1963) gehören. Die Bücher nehmen Bezug auf Grass\' Kindheit: In einem Danziger Vorort wurde er am 16. Oktober 1927 geboren, seine Eltern führten dort ein Kolonialwarengeschäft. Die kaschubisch-polnische Abstammung seiner Mutter wurde für Grass zu einer zentralen kreativen Kraft. Immer wieder war das Verhältnis zum Nachbarland Thema seiner Bücher, viele davon sind in polnischer Übersetzung erschienen.
Unter anderem für "Die Blechtrommel" erhielt Grass 40 Jahre später, 1999, den Literaturnobelpreis. Jahrelang hatte er darauf gewartet, galt als einer der Dauerkandidaten, reagierte zunehmend enttäuscht, wenn er dann doch wieder leer ausgegangen war. Unvergessen sind die Bilder des fröhlich und unermüdlich tanzenden Günter Grass beim Nobelbankett im Dezember 1999 im Stockholmer Rathaus.
Auch im Ausland feierte Grass Verkaufserfolge
Die lang ersehnte Auszeichnung entschädigte Grass wohl auch für die Kritik, die einige Jahre vorher sein Roman "Ein weites Feld" hervorgerufen hatte. In der Literaturszene wurde das Buch 1995 ziemlich ungnädig aufgenommen. Marcel Reich-Ranicki bezeichnete es in einer Titelgeschichte des "Spiegels" als "total missraten" - daraufhin herrschte jahrelang Funkstille zwischen den beiden Männern.
Überhaupt war die Literaturkritik mit Grass sehr viel strenger, als es die Leser waren. Nahezu alle seine Bücher waren Bestseller, auch im Ausland feierte er Verkaufserfolge. Der gelernte Steinmetz beschränkte sich nie darauf, seine Geschichten ausschließlich mit Worten zu erzählen. Das Multitalent machte sich daneben einen Namen als bildender Künstler, illustrierte seine Bücher zum Teil selbst, betätigte sich als Zeichner und Grafiker. Mit seiner zweiten Ehefrau Ute Grunert verbrachte Grass Mitte der 1980er Jahre einige Monate in Indien - auch diese Erfahrung floss in seine Werke ein.
Israelkritisches Gedicht verursacht Eklat
Neben seiner künstlerischen Arbeit hat sich Grass immer auch als politischer Mensch verstanden. Das war bereits 1955 so, als der damals 27-Jährige erstmals mit der "Gruppe 47" in Kontakt kam. Zusammen mit anderen Literaturschaffenden machte er es sich zur Aufgabe, die deutsche Vergangenheit literarisch aufzuarbeiten. Als Wegbegleiter von Willy Brandt war er lange Mitglied der SPD, auch nach seinem Austritt Anfang der 1990er Jahre unterstützte er die Partei.
Dass er seine Mitgliedschaft in der Waffen-SS jahrzehntelang verschwiegen hatte, nahmen ihm später viele übel. Er sei damit als moralische Instanz beschädigt, hieß es nach dem späten Eingeständnis des Schriftstellers in seinem 2006 erschienenen Buch "Beim Häuten der Zwiebel". Seine früheren kritischen Äußerungen über eine mangelhafte Vergangenheitsbewältigung in Deutschland wurden ihm um die Ohren gehauen. Auf den Hauptvorwurf, er hätte diesen Teil seiner Biografie schon viel früher erklären müssen, antwortete Grass: "Diese Kritik muss ich wahrnehmen, und es ist eine, die ich mir selber stelle."
Es war nicht das erste Mal, dass Grass politisch von sich reden machte. Er sprach sich 1990 gegen eine Wiedervereinigung der beiden deutschen Staaten und für eine Konföderation aus, er kritisierte 1997 die Asylpolitik der Bundesregierung als "demokratisch abgesicherte Barbarei", er unterstützte seinen Kollegen Martin Walser, als diesem wegen seines Buches "Tod eines Kritikers" Antisemitismus vorgeworfen wurde.
Einen Eklat verursachte Grass - der "vaterlandslose Geselle", wie er sich in einem Interview bezeichnet hat - schließlich mit seinem gegen die israelische Iranpolitik gerichteten Prosagedicht. Von fast allen Seiten hagelte es Kritik, Israel verhängte sogar ein Einreiseverbot gegen den Schriftsteller, ein von ihm gestiftetes Denkmal in Göttingen wurde beschädigt. In den vergangenen Monaten ist es stiller geworden um den Schriftsteller.