Im Gespräch mit Christoph Hein "Ich habe mitleidlos genau zu beschreiben"
Christoph Hein ("Der fremde Freund", "Willenbrock", "Frau Paula Trousseau") ist mit seinem neuen Roman "Weiskerns Nachlass" (erschienen im Suhrkamp Verlag) auf Lesereise in Deutschland unterwegs. Anlässlich der Landesliteraturtage Sachsen-Anhalt wird der Schriftsteller im Literaturhaus Magdeburg zu Gast sein. Vor seiner Lesung am 22. September (19 Uhr) hat Grit Warnat mit Christoph Hein gesprochen.
Volksstimme: Sie haben einen glücklosen Protagonisten erfunden. Robert Stolzenburg verdient wenig Geld, hat Pech in der Liebe, keinen Erfolg in seiner halben Stelle als Dozent am kulturwissenschaftlichen Institut in Leipzig. Dieses persönliche Dilemma verbinden Sie mit dem bröckelnden Zustand der Geisteswissenschaften im Land. Warum dieser bitterböse Blick auf unsere Gesellschaft?
Christoph Hein: Ich denke nicht, dass es ein böser Blick auf die Gesellschaft ist; ich meine, der Blick ist genau; eine ungeschönte Bestandsaufnahme.
Volksstimme: Unnachgiebig beschreiben Sie den lethargischen Zustand am Institut. Es gibt kein Geld für Personalstellen und für Forschungsarbeit. Und dann trifft man auch noch auf dumme oder berechnende Studenten. Und die Lehrkräfte sind gleichgültig. Wie schlecht ist es Ihrer Ansicht nach um unsere Universitäten bestellt?
"Es ist doch ein sehr komisches Buch"
Hein: Die Universitäten sind auf dem Markt angekommen. Lehre und Forschung müssen "sich rechnen". Was nur Geld kostet und keins bringt, wird evaluiert und dann abgewickelt, eingestellt, geschlossen. Die Kosten einer solchen Kostenrechnung in Wissenschaft und Kultur könnten für eine Gesellschaft hoch ausfallen, selbstmörderisch hoch. Doch vorerst spart es Geld, denn mit Zukunftsinvestitionen sind schwarze Zahlen nicht zu schreiben.
Volksstimme: Wie weh tut es Ihnen, dass Geisteswissenschaften immer stärker nur auf betriebswirtschaftliche Aspekte reduziert werden?
Hein: Als Autor habe ich nur genau zu beschreiben, mitleidlos genau; ich habe nicht zu urteilen und nicht zu bewerten.
Volksstimme: Sie setzen immer noch eins drauf. Das Finanzamt mit Nachforderungen, eine Mädchengang, die Stolzenburg drangsaliert, und dann auch noch ein Krimineller, der von Stolzenburg Geld erschleichen will. Sie gelten als sehr genauer Bobachter. Sind das unsere Ängste?
Hein: Ich habe ein Bild gezeichnet und vorgestellt. Nun hat der Leser darüber zu urteilen.
Volksstimme: Meinen Sie, dass Ihr Buch von den Lesern im Westteil Deutschlands anders aufgenommen wird als im Osten?
Hein: Wir werden sehen, aber bisher habe ich kaum Unterschiede bei der Rezeption meiner Arbeiten bemerkt.
Volksstimme: Der "Tagesspiegel" nennt Sie in seiner Rezension zum Buch einen "unbestechlichen Zeitdiagnos- tiker". Sehen Sie sich selbst auch so?
Hein: Es würde mich freuen, wenn es zutrifft.
Volksstimme: Stimmen Sie mir zu, wenn ich sage: Sie haben mit "Weiskerns Nachlass" einen Gesellschaftsroman geschrieben?
Hein: Natürlich, und einen Liebesroman und einen Kriminalroman darüber hinaus.
Volksstimme: Ist es ein pessimistisches Buch?
Hein: Für mich nicht. Es ist doch ein sehr komisches Buch.
Informationen im Literaturhaus, Telefon 03 91/4 04 49 95